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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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Ungeziefer, das auch ihr zu schaffen machte, unternehmen konnte. In dem Logierhaus gab es keine Waschgelegenheit, und sie hatte kein Geld, um ins Badehaus zu gehen.
    Nachdem sie Helen mit einem Tuch gesäubert und neu gewickelt hatte, legte sie das Kind in Bettys Arme, nahm Tuch und Windel und verließ die Kammer. Im Hinterhof des Hauses stand eine Regentonne, die aufgrund des feuchten Wetters immer gut gefüllt war. Andernfalls hätte Kitty nicht gewusst, wo sie die Windeln hätte waschen sollen. Doch es war mühsam, den Schmutz ohne Seife und heißes Wasser zu entfernen. Als die junge Mutter mit dem Ergebnis endlich zufrieden war, fühlte sie ihre Hände nicht mehr. Ein paar Mal blies sie auf ihre erstarrten Finger, um sie zu wärmen, bevor sie ins Haus zurückkehrte. Sie hatte die Stiege zum ersten Geschoss gerade zur Hälfte erklommen, als eine Gruppe von Männern durch die Tür in die Eingangshalle trat. Sie sahen nicht aus wie Bettler, sondern waren einfach, aber gut gekleidet. Der Anführer stach aus ihrer Mitte heraus, denn er trug einen Tuchrock, der nach der neuesten Mode geschnitten war, und eine mit Silberfäden bestickte Weste. In der einen Hand hielt er einen Silberstab, in der anderen eine Pistole. Kitty erkannte ihn sofort. Es war Jonathan Wild.
    »Durchsucht jeden Raum!«, befahl der Diebesfänger seinen Leuten. »Ich weiß, dass sie hier sind. Also findet sie!«
    Geistesgegenwärtig hastete Kitty die letzten Stufen zum Treppenabsatz hinauf und eilte in die Kammer, in der sie Helen zurückgelassen hatte. Ihre Hand legte sich so fest um Bettys Arm, dass diese sich erschrocken umwandte.
    »Was ist los?«
    »Jonathan Wild ist hier«, flüsterte Kitty aufgeregt. »Er darf mich nicht finden. Kümmere dich um Helen.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, huschte sie aus dem Raum und rannte die Stiege zum zweiten Stock hinauf. Von unten drangen die Befehle des Diebesfängers und die Proteste der Logiergäste herauf. Kopflos floh Kitty in die oberen Etagen. Sie wusste nicht, wen Jonathan Wild suchte. War ihm zu Ohren gekommen, dass Thomas Marshalls Schwester in dieser Absteige übernachtete? Wollte er sie nun endgültig zum Schweigen bringen? Würde man sie vor aller Augen ermorden, wenn man sie aufspürte? Aber was galt schon das Wort eines Bettlers gegen den heldenhaften Ruf des »aufrichtigen« Jonathan?
    In der Hoffnung, auf eine Tür zu treffen, die in ein Nachbarhaus führte, trat Kitty in jeden Raum, an dem sie vorbeikam. Doch dann wurde ihr klar, dass sie sich bereits zu weit oben befand. Die Fluchtwege der Gauner lagen in den unteren Stockwerken. Vorsichtig beugte sich Kitty über das wackelige Treppengeländer und blickte nach unten. Die Eindringlinge waren nicht zu sehen, doch sie konnte ihre Stimmen aus den Kammern im ersten Stock vernehmen. Wenn sie sich beeilte, mochte es ihr gelingen, ungesehen nach unten zu gelangen. So leise wie möglich begann sie die Stiege hinabzusteigen. Dabei tastete sie sich behutsam mit der Fußspitze vor, um zu prüfen, ob eine Stufe knarrte. Angespannt presste sie die Zähne aufeinander, bis ihre Kiefer schmerzten. Eine Ewigkeit schien vergangen, als sie endlich den Treppenabsatz erreichte. Zu ihrer Linken hörte sie Jonathan Wilds Stimme:
    »Schaut in ihre schmutzigen Visagen, Männer. Taylor ist hier im Haus. Er kann nicht entkommen! Und seine Schlampe ist gewiss bei ihm.«
    Wild suchte also gar nicht nach ihr! Doch viel Zeit zum Luftholen blieb ihr nicht. Zielstrebige Schritte näherten sich der Tür. Der Diebesfänger kam auf sie zu. Panik ergriff Kitty. Hastig wandte sie sich um und stürmte die Treppe wieder hinauf. Im Türrahmen des nächstgelegenen Raumes hielt sie kurz inne, um Atem zu schöpfen. Sie saß in der Falle.
    Einen Moment lang gab sie sich der Hoffnung hin, dass Wild sein Opfer rasch finden und festnehmen würde, doch es blieb ruhig. Kitty hatte keine andere Wahl, als sich erneut der dunkel getäfelten Treppe zuzuwenden und die ausgetretenen Stufen bis unters Dach hinaufzusteigen. Ohne das ein oder andere Binsenlicht, das in den Kammern brannte, wäre es in dem Treppenschacht stockfinster gewesen. Die kleinen Flämmchen ließen geisterhafte Schatten über den abbröckelnden Stuck tanzen, der die Unterseite der Treppenläufe zierte. Überall lag Abfall herum. Im Obergeschoss hingen ein paar Lumpen auf einer Leine, die an der Leiter zum Dachboden festgebunden war. Die Eigentümerin saß, in einen Schal gehüllt, in einer Ecke auf dem Boden und bewachte

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