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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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dorthin!«, sagte sie entschlossen.
    »Nach Tyburn?« Die Hökerin überlegte kurz. »Man kann dort mit Pasteten gute Geschäfte machen, aber mit meinem lahmen Bein schaffe ich den langen Weg nicht.«
    »Aber ich muss unbedingt dabei sein«, drängte Kitty.
    »Warum? Kennst du einen der Verurteilten?«
    »Ja, eine Frau. Ich muss sie noch einmal sehen, bevor …« Kitty verstummte und schluckte schwer. Sie hatte Susannah den Tod gewünscht. Nun fühlte sie sich verpflichtet, bei ihrer Hinrichtung anwesend zu sein.
    »Bist du sicher, dass diese Frau heute gehängt wird?«, erkundigte sich Betty skeptisch.
    »Man sagte mir, dass sie aufgrund ihrer Vorgeschichte diesmal nicht mit dem Leben davonkommen würde.«
    »Sie ist also eine Diebin?«
    »Ja, sie ist in der Vergangenheit schon wegen Diebstahls verurteilt worden.«
    »Nun, gut möglich, dass sie tatsächlich am Galgen endet«, gestand Betty ein. »Aber bevor ich mich von dir bis nach Tyburn scheuchen lasse, möchte ich sichergehen, dass es nicht umsonst ist. Komm mit, Herzchen!«
    Zögernd folgte Kitty der Hökerin, als diese plötzlich in eine Seitengasse einbog. Sie wollte sich nicht von ihrem Entschluss abbringen lassen, Susannahs Ende beizuwohnen, doch sie mochte sich auch nicht allein auf den Weg machen. Als Betty die Long Acre erreichte, ergriff Kitty sie energisch am Arm.
    »Wohin gehen wir?«
    »Zum ›Blinden Harry‹. Der ist stets über die Namen und die Lebensgeschichte der Galgenvögel im Bilde«, erwiderte die Hausiererin.
    Beschwichtigt ging Kitty weiter. Schon von ferne war das schrille Kratzen einer Fiedel zu hören, das die heisere Stimme eines Balladensängers untermalte. Schallendes Gelächter beantwortete die schlüpfrigen Verse des Sängers, der sich nur umso mehr ins Zeug legte. Er stand auf einer Kiste inmitten einer Traube von Müßiggängern, Dienstboten, Bettlern, aber auch einigen gut gekleideten Bürgern, die vermutlich bald die Aufmerksamkeit von Taschendieben auf sich ziehen würden. Schon stimmte der Blinde Harry das nächste Lied an, in der die Eroberung einer Frau wie ein militärischer Angriff beschrieben wurde.
    »Der gute alte Harry«, spottete die Hausiererin. »Keiner hat mehr anstößige Balladen auf Lager als er.«
    Während sie den Liedtexten lauschte, spürte Kitty eine leichte Röte in ihre Wangen steigen. Als der Bänkelsänger das nächste Lied mit dem Titel: »Ein Loch, in das der arme Robin passt« ankündigte, wurde das Schiebefenster des Hauses, vor dem er stand, mit Schwung hochgeschoben, und ein Mann mit zornrotem Gesicht unter einer gepuderten Allongeperücke warf abfällig eine Handvoll Münzen auf die Straße. Harry ließ augenblicklich die Fiedel sinken, sprang von der Holzkiste und begann das Geld aufzusammeln.
    »Woher weiß er, wohin die Münzen gefallen sind?«, wunderte sich Kitty.
    »Er hat ein außergewöhnlich gutes Gehör«, erklärte Betty. »Komm, helfen wir ihm.«
    Sie traten zwischen die Schaulustigen, die sich zu zerstreuen begannen, und hoben einige Münzen auf, die weiter weg lagen.
    »Hallo, Betty«, begrüßte Harry die Hökerin. »Lange nicht gesehen«, fügte er scherzend hinzu.
    »Immerhin erkennst du mein Hinken noch«, gab Betty neckend zurück. »Quälst du wieder den armen Komponisten?«
    »Solange er mich so großzügig dafür belohnt, dass ich zu spielen aufhöre«, meinte Harry grinsend.
    Kitty betrachtete ihn neugierig. Man sah ihm nicht an, dass er blind war, denn seine Pupillen waren klar und wandten sich stets demjenigen zu, mit dem er sprach. Das Mädchen schätzte ihn auf etwa fünfzig Jahre, aber er hatte etwas Jungenhaftes an sich, so dass man ihm den zotigen Inhalt seiner Balladen gerne verzieh.
    »Und wer ist deine schweigsame Begleiterin?«
    »Kitty. Und der kleine Wurm, den sie bei sich trägt, ist ihre Tochter Helen.«
    »Was kann ich für euch tun, meine Damen?«, fragte der blinde Fiedler ironisch.
    »Heute ist Galgentag«, begann Betty. »Und da du stets über die armen Teufel Bescheid weißt, kannst du uns sicher sagen, ob eine Frau dabei ist namens …« Sie wandte sich mit fragender Miene an Kitty.
    »Susannah Harker.«
    Die Anspannung krampfte dem Mädchen den Magen zusammen, während sie von Harrys Gesicht zu lesen versuchte. Schließlich schüttelte er den Kopf.
    »Diesmal ist keine Frau unter den Verurteilten.«
    »Aber …«, entfuhr es Kitty überrascht. »Seid Ihr sicher?«
    »Natürlich bin ich das«, erwiderte der blinde Fiedler entrüstet. »Früher habe

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