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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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ihre kostbare Wäsche.
    Kitty blieb stehen und lauschte nach unten, dann stieg sie beherzt die knarrende Leiter zur Dachkammer hinauf. Durch das mit Öltuch verklebte Fenster fiel blasser Mondschein herein, so dass die junge Frau wenigstens die Umrisse der Logiergäste erkennen konnte, die sich bereits auf ihr Lager niedergelassen hatten. Niemand nahm Notiz von ihr, als sie sich vorsichtig durch den Raum auf die andere Seite schob, so weit weg von der Luke wie möglich.
    Von dem Oberlicht abgesehen, gab es kein Fenster. Doch sie hätte sich ohnehin nicht zugetraut, aufs Dach hinauszuklettern. Wenn Jonathan Wild bis zur Dachkammer vordrang, war sie verloren. Mit zitternden Knien ließ sich Kitty zu Boden sinken, zog die Beine an und lehnte sich mit dem Rücken an die Giebelwand. Trotz der Kälte spürte sie Schweißtropfen auf der Stirn. Einer Eingebung folgend, rieb sie beide Hände gegen die schmutzigen Dielen und fuhr sich dann mehrmals mit den Handflächen über das Gesicht.
    Eine Weile herrschte Stille, so dass Kitty wieder ein wenig Hoffnung schöpfte. Vielleicht hatte der Diebesfänger einen Hinweis erhalten, wo er den gesuchten Taylor finden konnte, und war bereits nicht mehr im Haus. Ihre verkrampften Muskeln entspannten sich ein wenig, und der Knoten in ihrem Leib löste sich langsam.
    Doch der kurze Anflug von Zuversicht hielt nicht lange an. Bald nahmen ihre überreizten Sinne Schritte und das Knarren von Holzbohlen wahr. Sie kamen die Stiege herauf … Kitty hörte gedämpfte Stimmen durch die offen stehende Luke dringen. Ihre Lippen begannen zu zittern. Sie durfte nicht in Panik geraten!
    Auf einmal hörte sie ein Rascheln. Eine der Gestalten, die scheinbar unbeteiligt auf ihren Strohschütten lagen, bewegte sich und richtete sich geschmeidig auf. Aus den Augenwinkeln sah Kitty, wie die Hand des Mannes etwas aus seinem Gürtel hervorzog. Dann war ein metallisches Knacken zu hören. Der jungen Frau sträubten sich die Nackenhaare. Dies musste Taylor sein. Was hatte der Gauner vor?
    Unfähig, sich zu rühren, beobachtete Kitty das Geschehen, das sich vor ihr abspielte. Mit einer Lampe in der einen Hand und einer Pistole in der anderen erschien der Diebesfänger in der Luke. Der Kerzenschein beleuchtete sein Gesicht unter der Krempe seines Hutes. Bei seinem Anblick durchlief Kitty ein Angstschauer. Dann ging alles ganz schnell. Als Wild die Lampe auf dem Boden abstellte, riss Taylor seine Waffe hoch und feuerte. Das helle Aufblitzen des entzündeten Schießpulvers blendete Kitty, und der laute Knall erschütterte ihr Trommelfell. Taylor hatte auf Wilds Brust gezielt. Die Gewalt des Aufpralls der Bleikugel riss den Diebesfänger von den Beinen und schleuderte ihn ein Stück durch die Luft. Von unten waren die Flüche seiner Leute zu hören.
    Wie gebannt starrte Kitty auf den niedergestreckten Körper, unfähig, zu begreifen, was passiert war. Die Kugel musste ihn schwer verletzt, wenn nicht getötet haben! Und doch begann er sich im nächsten Augenblick zu regen und richtete sich zum Schrecken aller, die zusahen, wieder auf, als sei nichts geschehen.
    »Wild trägt stets einen Brustpanzer«, raunte ein Bettler, der nicht weit von ihr entfernt saß. »Er weiß schon, warum.«
    Für einen Moment hatte Kitty Erleichterung verspürt, Freude und Dankbarkeit über den Tod eines Menschen. Wie sehr hatte sie sich verändert. Ihre Eltern wären entsetzt, wenn sie sie jetzt sehen könnten.
    Ein zweiter Knall ließ Kitty zusammenfahren. Mit einem Aufschrei brach Taylor zusammen und wand sich stöhnend auf den Holzbohlen. Wieder wehte Rauch und der Gestank des Schießpulvers durch die enge Kammer. Die Logiergäste lagen wie erstarrt an den Boden gepresst, als wollten sie mit ihm verschmelzen, und wagten kaum zu atmen. Kaltblütig steckte Jonathan Wild die Pistole in den Gürtel zurück und näherte sich dem Verwundeten, während einer seiner Leute vorsichtig durch die Luke spähte.
    »Kommt herauf, ihr verdammten Feiglinge«, rief der Diebesfänger abfällig.
    Doch seine Stimme klang rauh, und er schwankte ein wenig. Trotz des Brustpanzers war er nicht unverletzt geblieben.
    »Los, nehmt den Kerl fest und bringt ihn nach unten«, befahl Wild seinen Männern. »Haltet auf dem Weg zum Newgate bei einem Wundarzt an und lasst die Kugel herausschneiden. Ich will ihn gesund und munter am Galgen baumeln sehen.«
    Zwei der Männer zerrten den verletzten Taylor auf die Beine.
    »Wo ist Fanny Stott?«, fragte der Diebesfänger.

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