Die Kurtisane des Teufels
schlug Kitty die Hände vor das Gesicht und murmelte ein Gebet.
»Woran ist die Arme gestorben?«, fragte Charles Lennox.
»Wenn Ihr zu mir ans Bett treten würdet, Euer Gnaden«, forderte Meister Hearne den Herzog auf.
Verwundert tat Richmond wie geheißen und sah auf die tote Dirne hinab.
»Beugt Euch ein wenig vor«, bat der Wundarzt. Dann presste er mit beiden Händen Nans Magengrube zusammen, so dass Luft aus ihrer Speiseröhre entwich.
»Hm, riecht wie Mandeln«, bemerkte Lennox.
»Bittere Mandeln, um genau zu sein«, belehrte Hearne den Herzog. »Das arme Ding ist an einer Vergiftung durch Blausäure gestorben.«
»Aber … wie kann das sein …«, platzte Kitty heraus. »Wer würde denn so etwas tun …«
Der Wundarzt wandte sich der jungen Kurtisane zu und sah sie mitfühlend an.
»Ich fürchte, sie hat sich das selbst angetan.«
»Ihr meint, sie hat sich absichtlich das Leben genommen? Nein, das würde sie nicht tun!«
»Nicht absichtlich«, widersprach Meister Hearne seufzend. »Wisst ihr unbedarften Mädchen nicht, dass Pfirsichkerne, denen der Ratafia-Likör sein Aroma verdankt, ein tödliches Gift enthalten? Ein übermäßiger Genuss führt zu Atemnot, Krämpfen, Ohnmacht und letztendlich zum Tod. Nan ist nicht die Erste, der ihre Vorliebe für Ratafia zum Verhängnis wurde.« Kopfschüttelnd wandte der Wundarzt sich ab. »Ich gebe dem Leichenbeschauer Bescheid«, sagte er und verschwand, bevor der Herzog ihn für seine Mühe bezahlen konnte.
»Kommt, meine Liebe«, sagte Richmond, an Kitty gewandt. »Ich bringe Euch zu Mistress Grimshaws Haus zurück.«
Diesmal ließ sie sich widerstandslos von ihm aus der Kammer führen. Nans entseelten Körper vor Augen, stolperte Kitty blind an Lennox’ Seite die Stufen zum Erdgeschoss hinunter. In ihrem Kopf mischte sich das bedrückende Bild mit der Erinnerung an die ausgezehrten Leichen der drei ausgehungerten Frauen. Sie war dem Elend der Armut entkommen, doch der Tod war überall, selbst in dem Refugium der verschwenderischen Prachtentfaltung, in das sie sich geflüchtet hatte.
Richmond versuchte ein paar Mal, sie aus dem Zustand der Erschütterung zu reißen, doch als sie nicht reagierte, gab er es auf. Fürsorglich winkte er eine Sänfte heran, half ihr beim Einsteigen und wies die Träger an, sie sicher ans Ziel zu bringen.
»Ich hoffe, es geht Euch bald besser, Madam«, sagte er zum Abschied.
In die weichen Kissen der Sänfte zurückgelehnt, gewiegt vom gleichmäßigen Trott der Träger, überkam Kitty ein Gefühl von Unwirklichkeit. Es war nach Mitternacht, und die Szenerie auf der Großen Piazza begann sich zu wandeln. Die jungen Dirnen in prächtigen Kleidern verschwanden und machten den verlebten alten Megären Platz, die sich für einen oder zwei Pence von den Betrunkenen auf dem Heimweg aufrecht an einer Wand nehmen ließen. Die Nachtwächter ließen die Huren nicht nur gewähren, oft plauderten sie mit ihnen während ihrer Runde vor »Tom Kings Kaffeehaus«. Kitty sah eine Frau mit strähnigen Haaren auf einen torkelnden Zecher zugehen. Sie war barfuß. Ihr Kleid war tief ausgeschnitten und vorn offen, und da sie kein Mieder trug, hingen die Brüste schlaff herunter.
Wie viele von diesen armen Kreaturen hatten einmal wie sie als begehrenswerte Kurtisane in Seide und Brokat begonnen?, dachte Kitty. Auch für sie gab es keine Sicherheit. In ein paar Jahren, wenn sich die ersten Fältchen auf ihrem Gesicht einstellten, würde sie vielleicht niemand mehr wollen. Würde sie dann ebenfalls ihre verblühenden Reize für ein paar Münzen auf der Straße anbieten müssen?
26
Dicke, weiche Schneeflocken segelten vom grau bewölkten Himmel herab. Ein leichter Wind wehte Kitty den eisigen Flaum ins Gesicht. Mechanisch wischte sie sich mit der behandschuhten Hand über Nase und Wangen und blinzelte die Flöckchen von ihren Wimpern.
Kitty hatte auf einmal die Vision eines Gehängten, der hinter einem Schleier weißer Schneeflocken am Galgen hing. Betroffen blieb sie stehen. Die Erinnerung an den Tag, als Daniel verschwunden war, flutete schmerzvoll in ihr hoch und schnürte ihr die Kehle zu. Unwillkürlich stiegen ihr Tränen in die Augen und gefroren auf ihren von der Kälte geröteten Wangen.
Es war nicht der erste Schnee dieses Winters. Weshalb musste sie gerade heute an den Gehängten auf dem Clerkenwell-Anger zurückdenken? Sie hatte sich bemüht, Daniel zu vergessen und ein neues Leben ohne ihn zu beginnen. Warum schlich er sich dennoch
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