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Die Lady auf den Klippen

Die Lady auf den Klippen

Titel: Die Lady auf den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Joyce
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stockte ihr der Atem. Jetzt sah sie hundert dieser Männer, hinter ihm, schattenhaft und grau, die schrien vor Wut und Hass, während sie mit Forken und Messern herumfuchtelten. Ein Pferd wieherte. Blanche drehte sich um. Das Tier war aus seinem Geschirr geschnitten worden und lag auf dem Boden, die Beine in die Luft gestreckt. Es wurde von der Menge geprügelt. Blut floss …
      Blanche bedeckte die Ohren mit ihren Händen und schluchzte. Dies geschah nicht wirklich – es war eine Erinnerung. Sie wusste nicht, wie lange sie kämpfte, bis sie es glaubte, aber sie kämpfte gegen die Männer, die Geräusche, die Gerüche, die Angst, den Boden, der sich nun rasend schnell unter ihren Füßen drehte. Schatten fielen. Blanche begrüßte sie. Sie wollte nichts mehr, als von der Finsternis umfangen zu werden, wollte nichts mehr als das Vergessen.
      Aber der Boden war wieder ruhig unter ihr, und die Schatten verblassten. Blanche bemerkte, dass sie auf der Erde lag. Der Pöbel war verschwunden. Doch die Erinnerung war jetzt da, fest in ihr Gedächtnis eingebrannt, eine einzige blutige Szenerie. Es gab keinen Zweifel daran, dass sie sich endlich an die Ereignisse jenes schrecklichen Tages erinnerte. Sie blinzelte hinauf in den grauen, bedeckten Himmel und merkte, dass es zu regnen begonnen hatte. Ihre Kleider wurden nass.
      „Mylady?“
      Blanche sah in ein paar dunkle Augen und erkannte Anne, die sie beobachtete.
      Sie ärgerte sich und richtete sich auf. Wie viel hatte Anne gesehen? Wie lange war sie schon da gewesen, hatte sie beobachtet, während sie, Blanche, die Vergangenheit durchlebte?
      Denn diese Erinnerung war Wirklichkeit geworden. Sie hatte tatsächlich geglaubt, von einer Menge aus wütenden Männern umringt gewesen zu sein. Sie hatte gesehen, wie das arme Pferd zu Tode geprügelt worden war, es hatte auf dem Boden gelegen und gezappelt, nur wenige Zoll von ihr entfernt. Sie hatte gehört, wie die Männer sie anschrien. Jeden anschrien.
      Aber es ist nicht wirklich gewesen, ermahnte sie sich. Es war nichts als eine Erinnerung, doch jetzt wusste sie, dass ihr Vater sie im Hinblick auf diesen Tag belogen hatte. Sie konnte sich vorstellen, warum – und deshalb konnte sie ihm verzeihen, aber sie durfte sich an nichts sonst erinnern! Und sie durfte nicht zulassen, dass sie sich jemals wieder wie ein Kind fühlte, das in der Menge allein war.
      „Soll ich Sir Rex holen?“, fragte Anne.
      Blanche schluckte. Ihr war übel, sie spürte, dass sie ganz nass war, so wie Anne auch. Sie sah dem Hausmädchen in die Augen, spürte dessen Blick, dem jedes Mitgefühl fehlte. Sie konnte nicht ausmachen, was Anne dachte, aber dies war das geringste ihrer Probleme.
      Sie hatte solche Angst, nicht nur vor dem, was ihr Verstand ihr über den Aufstand sagte. Sich an ein vergangenes Ereignis zu erinnern war eine Sache, aber sich zu fühlen, als würde sie wieder in der Vergangenheit leben, eine andere. Verlor sie den Verstand?
      „Mylady, hören Sie mich? Soll ich Sir Rex holen?“
      „Nein!“ Sie wollte nicht, dass Sir Rex sie in diesem Zustand sah. Wie konnte das jetzt geschehen?
      Und warum geschah es jetzt?
      Wieder sah Blanche das Hausmädchen an, das nur dastand und sie anstarrte, das Gesicht eine undurchdringliche Maske. Und Blanche hatte den Eindruck, dass sie zufrieden war. In diesem Augenblick war sie sicher, dass Anne sie nicht mochte, sie sogar beneidete und wünschte, ihren Niedergang zu sehen. Und jetzt wusste Anne mehr, als sie wissen sollte.
      „Soll ich Ihre Zofe holen?“, fragte Anne.
      „Nein. Helfen Sie mir aufstehen“, sagte Blanche schroff. Sie streckte den Arm aus und ergriff Annes Hand. Aber selbst als sie aufrecht stand, fühlte sie sich aus dem Gleichgewicht gebracht. Als stünde sie an einem rutschigen Abhang.
      Sie würde heiraten. Vermutlich war sie verliebt. Eine wundervolle Zukunft lag vor ihr. Sie brauchte das nicht! Sie musste diesen Erinnerungen Einhalt gebieten – und sie durfte nicht zulassen, dass sie noch einmal das Gefühl bekam, sie wäre wieder inmitten dieses Aufstandes!
      „Ich helfe Ihnen ins Haus“, sagte das Hausmädchen. Ihre Augen funkelten. „Ehe Seine Lordschaft Sie in diesem Zustand sieht.“
      Blanche fuhr herum.
      Anne lächelte.
      
    Rex betrat das Turmzimmer und versuchte, seine verworrenen Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Es war unmöglich. Er fühlte sich heiter und übermütig, er fühlte sich

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