Die Lady in Weiß
das Wasser und versuchte dann sich auf das zu konzentrieren, was der Bettler sagte.
„Als die Flotte noch hier war, war es besser“, sagte der Mann und hüpfte mit seinen Krücken hinter Jeremiah her. „Lord Nelson hätte diesen Abschaum in seinen Gewässern nicht geduldet.“
„Man hat Sie zurückgelassen, nicht wahr?“ Jeremiah betrachtete den Beinstumpf und die zerschlissene Kleidung des Mannes. Die englische Marine war berüchtigt für ihren Umgang mit Veteranen. Diejenigen, die verwundet oder zu krank waren, um zu dienen, wurden einfach im Stich gelassen.
„Ja, ich habe mein Bein im Dienst verloren. Aber ich habe hier eine neue Frau gefunden, wir haben Kinder, und es schneit nie in Neapel, warum sollte ich mich also beklagen?“ Der Mann zwinkerte. Er war zufrieden, obwohl er Jeremiah eben gerade noch um Geld oder Tabak angebettelt hätte. „Aber was die Piraten angeht, da tut König Ferdinand so, als bemerke er sie nicht.“
Der Mann senkte die Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. „Wollen Sie da vielleicht mitmachen, Sir? Hoffen Sie vielleicht, auf der anderen Seite schnell ein Vermögen zu machen? Wenn das so ist, ich kenne da ein paar ... “
„Alles, was ich will, sind ein paar Informationen.“ Jeremiah warf dem Mann eine Guinea zu, die der geschickt auffing. „Ich habe einen Freund, der in Tripolis gefangen ist, und ich will ihn da herausholen. Ein verdammter Schotte hat ihn dort hingebracht, der sich selbst Hamil Al-Ameer nennt.“ „Sie meinen Andrew Gordon.“ Der Bettler rieb sich die Nase. „Das ist ein cleverer Bursche, dieser Gordon. Er ist zu den Heiden übergewechselt.“
„Ich weiß“, sagte Jeremiah kurz. „Geht er hier manchmal vor Anker?“
Der Bettler zuckte die Schultern. „Manchmal, aber ich kann nicht sagen, wann oder für wie lange. Wenn Sie Ihren Freund auslösen wollen, müssen Sie nach Tripolis gehen. Er lebt da wie ein König, sagt man. Aber erwarten Sie trotzdem nicht zu viel. Er hasst die Engländer, und es ist ihm zuzutrauen, dass er Ihr Lösegeld nimmt und Ihnen die Kehle durchschneidet.“
Jeremiah erinnerte sich nur zu gut daran, wie Hamil ihm die Messerklinge gegen die Kehle gedrückt hatte. Ob Caros Ehemann dasselbe gefühlt hatte, ehe er starb? „Dann ist es ja gut, dass ich Amerikaner bin und kein Engländer.“
„Sie sind ein Yankee, Sir?“ Die Augen des Mannes funkelten belustigt. „Dann sind Sie wohl gerade erst angekommen und haben noch nicht die Neuigkeiten gehört?“
„Ich bin heute aus Portsmouth gekommen, das stimmt“, entgegnete Jeremiah unbehaglich. „Welche Neuigkeiten?“ „Na, Neuigkeiten vom Krieg, natürlich! Die Großmächte Frankreich und England kämpfen wieder, der Frieden hat nicht gehalten. “
„Das war bereits absehbar, als wir den Ärmelkanal überquerten“, sagte Jeremiah. „Ich weiß, dass der Friede gebrochen wurde. Wir wurden vor weniger als zwei Tagen von einer französischen Fregatte verfolgt. “
„Aber wissen Sie auch, was der Pascha von Tripolis getan hat?“, fragte der Bettler und grinste. Offensichtlich brannte er darauf, seine Geschichte zu erzählen. „Er hat die Yankee-Fregatte Philadelphia vor seiner Tür versenkt und sie dann beschlagnahmt, einfach so. Und jetzt sind Ihr Land und seines auch im Krieg.“
„Im Krieg?“, fragte Jeremiah ungläubig und dachte sofort an David. „Amerika und Tripolis führen Krieg gegeneinander?“
Der Bettler nickte dramatisch und genoss diesen Augenblick. „Völlig richtig, Sir. Welchen Grund sollte ich haben, Sie anzulügen? Sie können Ihr Lösegeld vergessen und auch den Gedanken, Ihren Freund zu befreien oder sich ganz unbefangen mit Hamil Al-Ameer zu unterhalten. Es kommt kein Yankee nach Tripolis hinein, und noch viel weniger wird einer herauskommen, und das ist die ganze heilige Wahrheit.“
12. Kapitel
Als Jeremiah in das Gasthaus zurückkam, bestellte er ein Abendessen für zwei Personen und ging dann auf sein Zimmer, um sich umzuziehen und zu rasieren. Wegen Caros schwierigem Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter hatten sie sich hier in Neapel rasch entschlossen, ihre Tarnung als Ehepaar aufzugeben und getrennte Zimmer zu beziehen. Vielleicht ein bisschen zu rasch, dachte Jeremiah betrübt, während er mit der Klinge über seine Wange strich. Er wusste, dass er kein Recht hatte, Ansprüche geltend zu machen, aber er fühlte dennoch, wie bemüht sie war, Distanz aufzubauen. Ganz offensichtlich bereitete sie sich darauf vor, bald wieder mit
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