Die Lady mit dem Bogen
vertrauten Klosterzelle befand. Auch nicht im Schlafgemach, das sie auf Castle Saint-Sebastian bewohnt hatte. Dieser Raum war viel größer als ihr Gemach auf der väterlichen Burg.
Schmerz durchlief sie, von einer Stelle am Hinterkopf ausgehend, drang bis in Zehen und Fingerspitzen, um wieder zurückzufluten und sich auf die Stelle zu konzentrieren, wo sie auf einem nach Kräutern duftenden Kissen lag. Jemand musste ihr einen Schlag auf den Schädel versetzt haben. Wer? Wann? Wo?
Sie konzentrierte sich auf das ›Wo‹, da sie keine Ahnung hatte, wo sie sich befand. Die Vorhänge, die zurückgezogen waren, um das Morgenlicht einzulassen, waren aus Samt, die Bettpfosten waren mit kunstvollem Schnitzwerk verziert, das zum Flug abhebende Vögel darstellte. Sie streckte eine Hand aus, um sie zu berühren, und stöhnte, als der Schmerz ihren ganzen Kopf durchdrang. Fast hätte er die leise Musik zum Verstummen gebracht.
Musik?
Sie zwang ihre Augen. sich wieder zu öffnen, und blickte an den Vorhängen vorbei. Woher kam die Musik?
»Erwacht, holde Frau«, sang eine tiefe Stimme,
»Die Morgensonn’ ging auf
Und scheint auf lichthelle Felder.
Erwacht, holde Frau
Wie jeden Morgen, seit Ihr geboren,
Und lasst Euch, die Ihr geheilt seid, vom Licht bescheinen.
Mallory starrte ungläubig zum Fußende ihres Bettes. An einen der Pfosten gelehnt, der den hölzernen Betthimmel stützte, saß Saxon Fitz-Juste, auf dem Knie seine Laute, deren gebogener Hals zum Bett zeigte, und lächelte ihr zu.
Sie zog das Kissen unter sich hervor, und sofort dröhnte ihr Kopf vor Schmerzen, doch kümmerte es sie nicht, als sie das Kissen nach ihm schleuderte. Er duckte sich lachend und ließ es durch den Raum segeln.
»Hinaus!«, befahl sie.
Er neigte wieder den Kopf, ehe er die Füße über den Bettrand schwang und aufstand. »Wie geht es Euch? Ich nehme an, Euer Kopf schmerzt.«
»Das tut er, und Eure Katzenmusik macht es auch nicht gerade besser.«
Er lehnte sich mit der Schulter, die in eine rote Tunika gehüllt war, wieder an den Pfosten. Er strich über die Saiten seiner Laute, wobei er ein bekümmertes Gesicht machte. »Und ich dachte, mein Lied würde Euch wieder zur Besinnung bringen. Trotz Eures Protestes scheint es genau dies bewirkt zu haben. Ehe man Euch auf der Straße bewusstlos schlug, wart Ihr genauso übellaunig.«
Sie berührte ihren Hinterkopf. »Ach, das ist also passiert?« »Ihr seid zusammengebrochen wie ein von Pionieren unterminierter Turm.« Er lachte auf. »Das ist ein Bild, das nach einem Lied verlangt – die tapfere, von Unholden niedergestreckte Kämpferin.«
»Werdet Ihr endlich gehen!«
»Ich verließ wie verlangt Euer Bett. Ich dachte, ich würde …«
»Hinaus mit Euch!«, unterbrach ihn eine Frau von der offenen Tür her. Die Frau, die ihr Haar unter einem gefältelten Schleier versteckt trug, war nicht groß. Füllig, aber nicht dick, glich sie in ihrem braunen Gewand einem wohlgenährten Igel.
Fitz-Juste bedachte sie mit einer tiefen Verbeugung. »Euer Wunsch ist mir Befehl.«
Die Frau trat beiseite, um ihm den Weg freizugeben. Als er ihr im Vorübergehen in die Wange kniff, kicherte sie wie ein junges Mädchen, ließ aber rasch ein strenges Stirnrunzeln folgen. »Fort mit Euch und Eurem charmanten Getue. Sollte ich Euch wieder hier erwischen …«
»Was sicher der Fall sein wird, da Schwester Mallory mich einlud, um meine unsterbliche Seele zu retten.« Er drehte sich um und zwinkerte Mallory zu. »Oder um ihre Seele der Verdammnis auszuliefern.«
Die Frau drängte ihn hinaus, schloss die Tür und trat ans Bett. Mallory konzentrierte ihre Aufmerksamkeit mühsam auf die Frau. Zu viele Fragen gingen ihr durch den Kopf. Fitz-Juste. Ihre Kopfschmerzen. Was war geschehen? Ihre Reise nach …
»Poitiers!«, stieß sie hervor, als die Erinnerung sie wie ein Sturzbach überfiel und im Gefolge eine neue Woge des Schmerzes über sie hereinbrach.
»Ja, Ihr seid in Poitiers.« Die Stimme der Frau klang beruhigend. »Wie fühlt Ihr Euch?«
»Gut.« Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, wenn sie aber im Palast der Königin angelangt war, musste sie zu Königin Eleanor gehen und ihre Dienste anbieten. »Wo ist mein Bogen?«
»Hier ist er, samt Euren anderen Waffen.« Unsicherheit ließ die Stimme der Frau lauter werden. »Das sagte man mir jedenfalls.«
»Wo ist er?« Sie wollte sich aufsetzen, fiel aber aufs Bett zurück. Um sie herum drehte sich alles wie in einem trunkenen Tanz. Sie
Weitere Kostenlose Bücher