Die Lady mit dem Bogen
hasste ihre Schwäche. Die Königin hatte sie zu sich befohlen, damit sie ihr hier zu Diensten war. Wie aber sollte sie etwas tun, wenn sie nicht aus dem Bett fand?
Als sie Fitz-Juste das Kissen nachwarf, hatten Wut und Schock ihrem Arm Kraft verliehen. Jetzt war sie völlig ausgelaugt.
»Hier sind sie«, sagte die Frau. »Wo?« Es kümmerte sie nicht, dass ihre Frage verdrossen klang, doch fühlte sie sich durch ihren langen Umgang mit dem Bogen mit ihm verwachsen und kam sich merkwürdig bloß und verletzlich vor, wenn er ihrer Sicht entzogen war.
Die Bettvorhänge wurden ein wenig zurückgezogen, und die Frau, die das Kleid einer Dienerin trug, neigte sich über sie. Ihr Gesicht war nicht zu sehen, da sie das helle Licht in ihrem Rücken hatte. Mallory blinzelte mehrmals, dann rieb sie sich die schlaftrunkenen Augen. Wie lange hatte sie geschlafen?
Als hätte sie die Frage laut gestellt, sagte die Frau: »Es ist der Morgen nach Euer Ankunft, Mylady. Hier ist Euer Bogen.«
Mallory zwang sich mit aller Kraft, konzentriert in die angegebene Richtung zu schauen. Ihr noch immer gespannter Bogen lehnte an der Wand neben einem Fenster. Erleichtert ließ sie sich wieder auf die Matratze zurücksinken.
»Das Essen wartet«, fuhr die Dienerin fort. »Ich habe warmes Wasser für ein Bad bestellt.« Zurückweichend rümpfte sie ihre lange Nase. »Für gewöhnlich ersuchen wir unsere Gäste, sich nach der Ankunft zu säubern – jetzt müssen wir Euer Bett auch noch frisch überziehen.«
Mallory fragte sich, ob die Frau eine Entschuldigung erwartete. Doch die Dienerin war bereits dabei, die Fensterläden zu öffnen, die breiter waren als jene, die Mallory von der Abtei und vom Haus ihrs Vaters her kannte. Die Erbauer mussten angenommen haben, dass der von einer Stadt umgebene Palast sich nicht gegen Feinde verteidigen musste.
Auf die Frage, ob sie beim Aufstehen Hilfe benötigte, setzte Mallory sich mühsam auf. Sofort drehte sich alles um sie, und dunkle Flecken tanzten vor ihren Augen. Dann kam die Welt zur Ruhe. Als sie die Beine zum Bettrand schob, achtete sie darauf, langsam zu blinzeln. Jede rasche Bewegung drohte den Raum wieder in dunkle Spiralenwirbel zu tauchen.
»Setzt Euch.« Die Frau schlug leicht auf einen Stuhl neben einem kleinen Tisch am Kamin. Mit dem Bett und einem großen Schrank bildeten Tisch und Stuhl die gesamte Einrichtung des Raumes. »Ich heiße Ruby, und ich bin da, um Euch zu dienen, Mylady.«
»Da?«
»Im Palast der Königin. In Poitiers.« Ruby, die etwa so alt war wie Mallorys Mutter, wenn diese noch gelebt hätte, zeigte eine mütterlich besorgte Miene. »Ihr seid am Kopf schlimm verletzt worden, Mylady. Habt Ihr das Gedächtnis verloren?«
»Nein, mir geht es gut.« Sie wollte es beweisen, indem sie vom Bett aufstand. Kaum aber berührten ihre Füße den unebenen Steinboden, bekam sie wackelige Knie. Ein langes Hemd glitt über ihre Beine herunter, reichte ihr aber nur bis zu den Waden.
Während sie das frische, mit Honig bestrichene Brot aß, tat Mallory ihr Bestes, um zu zeigen, dass sie sich wieder wohlfühlte, dass sie aufstehen und den Raum verlassen konnte. Als Ruby ihr den Rücken kehrte, während Mallory die Möglichkeit genoss, den eingetrockneten Schmutz von ihrer Haut abzuwaschen, schloss sie jedoch die Augen und kämpfte gegen den Schmerz nicht mehr an. Kaum aber kam Ruby zurück und brachte ihr saubere Kleidung, gab sie sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen.
Während Mallory am Fenster saß, das Ausblick auf einen üppigen Garten und den Burggraben dahinter bot, fuhr sie mit dem Kamm durch das nach dem Waschen zerzauste Haar. Die Stadt war zwischen den Palastmauern und Befestigungsanlagen eingezwängt, die König Henry der Ältere anstelle der verfallenen, noch aus der Zeit der Römer stammenden hatte errichten lassen. Dachfirste ragten spitz in alle Richtungen, als wollten sie jedes Stückchen Sonnenschein einfangen, das auf den Flusslauf fiel, von dem die Stadtmauer im Norden und Osten umschlossen wurde. Die ebenfalls vom Fluss begrenzte Westseite konnte sie vom Fenster aus nicht sehen. Die zahlreichen Kirchtürme warfen Schatten über die Dächer.
Die in leichter Krümmung verlaufende Palastanlage bot Aussicht auf die runden, in die Straße hineinragenden Türme, auf denen ganz oben Figuren standen. Sie fragte sich, ob sie die Familie der Königin darstellten. Die Zinnen waren nicht sehr hoch, Schießscharten gab es nur vereinzelt. Kein Wunder, dass König
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