Die Lady mit dem Bogen
jeder Frau flirtete, die ihm über den Weg lief. Ihre Tapferkeit reichte zwar aus, um die Königin umzustoßen und ihr das Leben zu retten, doch wusste sie nicht, ob sie den Mut besaß, wie ihre Mutter unzählige Demütigungen und ständigen Kummer auf sich zu nehmen.
Sie schlug ihren kühlsten Ton an, als sie sagte: »Ihr vergesst wohl, warum ich hier bin, Saxon.« Damit nahm sie ihm ihren Bogen aus der Hand, entzog ihre Finger seinem Griff und ging fort, ehe sie sich’s vergaß.
kapitel 7
S axon war wieder hinunter zum Fluss gegangen und strich am hölzernen Kai herum. Wie immer vermischten sich die Gerüche von Schlamm und toten Fischen mit jenen von Abfall und Abwässern, die sich in den Fluss ergossen. Über ihm zeichneten sich die Türme von Poitiers im Licht des aufgehenden Mondes ab, der Fluss aber strömte aus tiefem Dunkel hervor. Die Schiffsleute schliefen an Deck oder machten ihre Schiffe für die Fahrt des nächsten Tages bereit.
Wie lange würde er noch warten müssen? Im Laufe der letzten Stunde hatte er sich diese Frage immer wieder gestellt, wiewohl er die Antwort kannte – wie an dem Abend, als er Mallory von Bord des Schiffes hatte gehen sehen, das auch Söldner gebracht hatte, die sich zu den Truppen König Henrys durchschlagen wollten.
Ein paar geknurrte Flüche ließen ihn über die Schulter blicken, die Hand am Griff des Messers, das er unter seinem abgetragenen Umhang versteckt trug. Er entspannte sich ein wenig, als er sah, dass zwei Männer mit den Fäusten aufeinander losgingen und der eine den anderen auf die schwankenden Planken niederwarf. Keiner der beiden war Jacques Malcoeur oder einer seiner Spießgesellen. Saxon durfte in seiner Wachsamkeit nicht nachlassen. Malcoeur und seine Bande waren nicht die einzigen Diebe, die sich in der Hoffnung auf leichte Beute unweit des Piers herumtrieben.
Das hatte er tags zuvor erlebt, als zwei Bogenschützen auf die Königin zielten. Hätte Mallory nicht so rasch reagiert, hätte für ihn – oder alle anderen – keine Notwendigkeit mehr bestanden, in Poitiers zu bleiben. Erst als er die im Gras liegenden Pfeile aufgehoben hatte, war ihm klar geworden, dass für die Königin echte Gefahr bestand. In der Meinung, Königin Eleanors Angst sei übertrieben und der Belastung zuzuschreiben, die der Kampf ihrer Söhne gegen ihren Gemahl für sie darstellte, hatte er die Nachricht an dem Pfeil, der auf Mallorys Gemach abgeschossen worden war, als leere Drohung aufgefasst.
Er hatte sich geirrt, während Mallory der Königin geglaubt und die unsichtbare Bedrohung ernst genommen hatte. Dank ihrer unglaublichen Fähigkeit, einen von einem nahen Bogen abgeschossenen Pfeil zu erahnen, hatte sie der Königin das Leben gerettet.
»Wie viele Leben aber wird der Aufstand, der nun fortdauern wird, noch kosten?«, murmelte er vor sich hin, wohl wissend, dass die Söhne der Königin nicht das Herz haben würden, den Kampf gegen den eigenen Vater fortzusetzen, wenn sie ihre Muter betrauern mussten.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Booten zu, von denen eines den Pier ansteuerte. Trotz der Dunkelheit war klar zu sehen, dass das Boot tief im Wasser lag. Saxon konnte sich nur wundern, dass der Kapitän aus Habgier das Boot für die Fahrt auf dem seichten Fluss so schwer beladen hatte. Eine falsche Berechnung, und das Schiff lief auf Grund oder auf eine Sandbank und saß fest.
So wie Saxon selbst.
Er stieß einen leisen Fluch aus, der sogar die verkommenen Kreaturen unten am Fluss schockiert hätte. Er hatte noch immer keine Ahnung, wer die Königin bedrohte. Am Ufer waren von ein paar Fußabdrücken abgesehen keine Spuren zu finden gewesen, ein Hinweis darauf, dass die Attentäter einen Komplizen gehabt hatten, der mit einem Boot auf sie wartete. Es musste etwas geben, das er übersehen hatte, doch hatte er keine Ahnung, was es war.
Er hatte auch keine Spur an der Drohung finden können, die durch Mallorys Fenster geschossen worden war. Er hatte alle innerhalb des Palastes in Betracht gezogen, die mit Pfeil und Bogen umgehen konnten. Es war niemand darunter, der die Gelegenheit dazu gehabt hatte, niemand auch, dem daran liegen konnte, Mallory aus dem Palast zu vertreiben und die Königin ihrer Beschützerin zu berauben. Als er Bertram de Paris erwähnte, der Mallory nicht gut gesinnt war, hatte sie ihm die Reaktion der Königin bei Nennung des Namens des Boten geschildert.
»Sie zeigte sich unerschütterlich«, hatte Mallory gesagt. »Sie hält
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