Die Lady mit dem Bogen
einem neuen Pfeil.
»Schade um den Pfeil«, sagte Saxon, dessen Ton Zorn verriet. »Jemand zog den Kerl an einem Seil hoch. Bis wir oben ankommen, sind die längst über alle Berge.«
Nicht gewillt, die Niederlage hinzunehmen, rannte sie zu den Steinen, die den Höhleneingang umgaben, stemmte sich die Klippe hoch und suchte mit den Händen Halt an der Felswand, wo immer sich dieser bot. Fluchend kletterte Saxon ihr nach und überholte sie sogar, indem er sich die Wand hinaufarbeitete wie eine Spinne in ihrem Netz. Als er das Felsplateau erreichte, wo der Mann den Felsblock in Bewegung gesetzt hatte, prasselte Schmutz auf sie nieder. Sie spuckte ihn aus und ergriff die Hand, die Saxon ihr reichte, um ihr das letzte Stück hinaufzuhelfen.
»Gibt es denn etwas, das Ihr nicht versuchen würdet?«, fragte er und schüttelte seine mit blutigen Schrammen bedeckte Linke.
»Ich versprach …«
»Ja, ich weiß, Ihr habt der Königin versprochen, die Bogenschützen zu finden, doch hätten wir den Pfad zum Kloster nehmen und dann herunterklettern können.«
Sie beachtete ihn nicht, sondern kniete sich hin und betrachtete die Stelle, wo der Felsblock aus der Felswand gelöst worden war. »Seht Ihr die Schrammen an den Steinen? Es fiel ihm sehr schwer, den Block hinunterzustoßen. Hätten wir beim Eingang nicht innegehalten, hätte er keine Zeit gehabt, ihn hinunterzustoßen und uns in der Höhle einzusperren.«
»Das kann man nicht mit Sicherheit sagen. Er ließ den Stein rollen, als wir auftauchten. Der Schutt, der mitgerissen wurde, beweist es.« Er stieß etwas von dem losen Schotter in das Wasser hinunter.
»Euer Feind wird immer verzweifelter, Saxon.«
»Mein Feind? Ihr wart ebenso in der Höhle.«
»Der Angriff kam aber, nachdem Ihr in die Höhle eingedrungen seid. Wenn wir annehmen, dass die Botschaft auf dem Pfeil für Euch bestimmt war, dann ist es klar, dass auch dieser Angriff Euch galt.«
»Das will ich nicht annehmen.« Er stieß noch mehr Schotter hinunter. Unter seinen Füßen blitzte etwas auf.
»Was ist das?« Sie drängte sich auf dem engen Raum an ihm vorbei und hob etwas auf, das in der Sonne gefunkelt hatte. Es war ein Kettenpanzerhandschuh, gut geölt und ohne Rostflecken. »Er muss dies fallen gelassen haben.«
Saxon nahm den Handschuh an sich und drehte und wendete ihn prüfend. Nach einem lang gezogenen Pfiff sagte er: »Dieser Kettenpanzer ist nicht normannisch, sondern französisch.«
»Französisch? Könnte König Louis Gegner der Königin sein?«
»Das will ich nicht hoffen. Aber es könnte sein, dass der König an seinem Bündnis mit dem jungen König und der Königin festhält, und jemand versucht, einen Keil in diese unsichere Allianz zu treiben, indem er den Anschein erweckt, König Louis sei die treibende Kraft hinter den Anschlägen.«
»Das kann man aber nicht als sicher annehmen.«
»Nein, das kann man nicht. Im Moment ist nichts sicher.« Sie griff nach dem Handschuh und ließ ihn in ihren Köcher gleiten. »Nur eines steht fest: Unsere Gegner greifen zu immer verzweifelteren Mitteln. Einschüchterungsversuche genügen nicht mehr, man trachtet uns jetzt nach dem Leben. Wir müssen rasch handeln und die Wahrheit ans Licht bringen.«
kapitel 9
M allory ließ den Blick durch die große Halle wandern. Sie war gedrängt voll, doch anders als in der Burg ihres Vaters saßen die Männer auf den niedrigeren Bänken entlang der Mauern, während die Damen an der erhöhten Tafel mit der Königin und ihrer Tochter Platz genommen hatten. Perlendes Lachen erklang, und der Duft süßer Parfüms gaukelte einem vor, man befände sich im Palast eines orientalischen Kalifen an fernen Gestaden.
In dem riesigen, an den Palast angebauten Saal versammelte Königin Eleanor gern ihren Hofstaat um sich. Ein großes Fenster ließ Licht einfallen, das die grotesken, unter den großen Bogen eingemeißelten Gesichter hervorhob. Kleinere Fenster standen offen, so dass die Arbeitsgeräusche der Steinmetze, die in der Kirche außerhalb der Palastanlage am Werk waren, neben dem Stimmengewirr der Anwesenden zu hören waren.
Mallory, die auf der steinernen Bank entlang einer Mauer hin- und herrutschte, fragte sich, wie lange dieser Diskurs noch dauern konnte. Den ganzen Nachmittag saß sie schon hier. Sie war mit der Königin eingetreten, nachdem viele sich bereits ihre Plätze gesucht hatten. Die meisten hatten sich an den Stufen zusammengefunden, die zu den Kaminen unter dem großen Fenster führten, das
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