Die Lady mit dem Bogen
sich immer mehr verdunkelte, da sich seit dem Morgen Gewitterwolken zusammenzogen. Niemand hatte sich davongestohlen, während die Gespräche endlos darum kreisten, ob Liebe in der Ehe wirklich Liebe sein könne oder ob Liebe nur existieren könne, wenn sie zwischen unverheirateten Liebesleuten frei gewährt würde.
Noch nie hatte sie sich so gelangweilt. Was für eine lächerliche Art, einen Nachmittag zu verbringen! Erst vor wenigen Stunden war sie durch eine Höhle gewandert, auf der Suche nach einem Verbrecher und seiner Bande Gesetzloser. Sie hatte Fledermäusen und Ungeziefer und der Gefahr des lebendig Begrabenwerdens getrotzt. Sie hatte sogar gewagt, sich Saxons heißen Küssen hinzugeben.
Und jetzt … Langeweile!
Ärger über die vergeudete Zeit und die nichts sagenden Äußerungen ließ sie vibrieren wie eine leicht gespannte Bogensehne. Während sie der endlosen Debatte lauschte, merkte sie, dass niemand von seiner vorgefassten Meinung abrückte. Wussten denn diese Menschen mit ihrer Zeit nichts Besseres anzufangen? Viel vernünftiger wäre es gewesen, sie hätten sich auf die für sie unvorstellbare Möglichkeit vorbereitet, dass König Henry der Ältere seine Söhne und den französischen König bezwang und seinen Zorn gegen die Bewohner von Poitiers richtete. Am liebsten hätte sie jede hier anwesende Frau darin ausgebildet, sich und die Königin zu verteidigen.
Die Wenigen, die sie trainiert hatte, hatten nur geringe Fortschritte gemacht, doch auch die rudimentärsten Kenntnisse konnten mithelfen, die Getreuen des Königs beim Sturm auf Poitiers zu entmutigen. Während König Henry der Ältere nicht zögern würde, Dörfer und Fluren im Norden zu verheeren, hoffte man, dass er, dem Poitiers so teuer war wie seiner Königin, die Stadt verschonen würde, falls das Schlimmste einträte und er bis vor die Stadtmauern vorrückte. Sie hoffte, dass dies auf Wahrheit beruhte, da sie ihren Schülerinnen eher zutraute, einander gegenseitig mit Pfeilen zu durchbohren, als einen Angreifer zu treffen.
Sie beugte sich vor und stützte ihren Ellbogen aufs Knie. Ihr gestriger Besuch beim Bogenmacher hatte ihr außer der Aufforderung, am nächsten Tag wiederzukommen, nichts gebracht. Wie lange dauerte es, bis er zwei Pfeile untersucht hatte?
Das Kinn auf eine Hand gestützt, sah sie sich im Raum um, wie sie es seit ihrer Ankunft alle paar Minuten getan hatte. Die Königin schien inmitten ihrer Höflinge nicht gefährdet zu sein, dennoch durfte sie in ihrer Wachsamkeit nicht nachlassen, auch wenn sie ein Gähnen unterdrücken musste. Sie wünschte, sie hätte Pfeil und Bogen mitgenommen, doch duldete die Königin keine Waffen an ihrem Liebeshof. Ohne ihren Bogen fühlte Mallory sich wehrlos.
»Darf ich?«, fragte ein Mann.
Sie setzte sich aufrechter hin, als er auf die steinerne Bank an der Wand deutete, auf der sie saß. Ein warmes Lächeln erhellte seine blauen Augen, die in auffallendem Kontrast zu seinem schwarzen Haar standen. Da seine fast zu vollkommenen Züge eher zu einer Frau gepasst hätten, drängte sich ihr die Frage auf, warum er sich nicht einen Schnurrbart wachsen ließ wie Saxon.
»Aber natürlich«, sagte sie und bedeutete ihm, sich neben sie und Lady Violet auf die Steinbank zu setzen. Die Dame hatte sich neben Mallory platziert, mit so viel Abstand wie möglich, aber doch so, dass es nicht unhöflich wirkte. Sie sah, wie Lady Violet dem Mann auf der Bank einen Blick zuwarf und ihre Lippen zur Andeutung eines Lächelns verzog. Mallory war neugierig, welche Torheit sie nun im Sinn haben mochte.
Sie bemühte sich, nicht an diese alberne Person zu denken, als sie hinzusetzte: »Ich bin …«
»Lady Mallory de Saint-Sebastian.« Sein Akzent verriet, dass er aus dem Süden Aquitaniens stammte, wo man ein anderes Normannisch als das in Anjou oder England gebräuchliche sprach. »In Poitiers gibt es kaum jemanden, der nicht von Euch vernahm, Mylady.«
»Ach, tatsächlich?«
Sein Lächeln enthüllte ebenmäßige Zähne. »Allenthalben wird Euer Mut gelobt, mit dem Ihr das Leben unserer verehrten Königin gerettet habt.«
»Ich tat nur, was jeder andere auch getan hätte.«
»Dass Ihr dies glaubt, beweist, dass Ihr so bescheiden seid, wie ich hörte.« Sich zu ihr beugend raunte er in verschwörerischem Ton: »Ich vertraue darauf, dass Euer Mut mich ebenso schützen wird.«
»Seid Ihr in Gefahr …?«
»Landis d’Ambroise«, ergänzte er mit einem abermaligen Kopfnicken. »Ich fürchte, ich
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