Die Lady mit dem Bogen
wird Sir Godard bringen«, sagte Mallory, während sie gleichzeitig den Priester, der ebenso schreckensstarr war wie die Damen, in die Kirche drängte. »Rasch, Vater, ehe Euch etwas geschieht.«
»Nein! Vater!«
Mallory, die erfasste, dass Lady Violet nicht den Priester, sondern ihren eigenen Vater meinte, blickte sich noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie der alte Mann den Wagen bestieg. Er fuhr los, auf der Flucht vor den Reitern, und setzte eine Handgerte ein, um sich in der Menge freie Bahn zu schaffen. Ließ er seine Tochter so im Stich? Wut erfasste Mallory, die sich nur zu gut vorstellen konnte, dass ihr Vater sie ähnlich verlassen hätte.
Ihre Wut verlieh ihr neue Kraft. Sie packte Lady Violets Arm und stieß sie in den Kirchenraum. Die Braut sank zu Boden, versuchte aber, zur offenen Tür zu kriechen. Mallory hinderte sie daran, indem sie sie am Arm festhielt.
Im Inneren der Kirche war es dunkel und kühl. Eine einzige Lampe brannte an der Treppe, die nahe dem Altar hinunter in die Krypta führte. Der Straßenlärm hallte unheimlich vom hohen Dachgebälk wider.
Saxon lief heftig winkend in die Kirche, gefolgt von seinem torkelnden Bruder. »Sie kommen.«
»Ins Allerheiligste!«, keuchte der Priester.
Saxon nahm den Arm des Priesters und zog ihn und Sir Godard mit sich. »Rasch Mallory!«, rief er ihr über die Schulter zu.
Wieder packte Mallory Lady Elitas und Lady Violets Arme. »Wir müssen fort.«
Lady Elita raffte ihren Rock hoch und lief Saxon nach, Lady Violet aber wollte sich nicht vom Fleck rühren.
»Rasch, Lady Violet, Euch droht Gefahr.« Sie unterstrich jedes Wort, indem sie am Arm der Dame zerrte.
Sie befürchtete schon, Lady Violet hätte einen nervösen Anfall erlitten, der sie lähmte. Es war keine Zeit, um es herauszufinden. Sie drehte die Braut um und schob sie vor sich her, den anderen nach.
»Nein!«, kreischte Lady Violet.
Mallory ließ nicht locker. Als Saxon die Treppe von der Krypta heraufgelaufen kam, kämpfte sie noch immer mit der Widerspenstigen. Er rief Mallory zu, sie solle sich in der Krypta verstecken, packte Lady Violet einfach um die Taille und warf sie sich über die Schulter. Mallory, die neben ihm lief, musste darauf achten, dass sie oder Saxon nicht von seiner wild um sich tretenden und schlagenden Last getroffen wurden. Am oberen Ende der Treppe blieb Mallory stehen und bedeutete Saxon, er solle als Erster hinuntergehen.
»Sieh zu, dass Lady Violet nichts passiert«, stieß sie hervor, als er innehielt.
Er nickte, und als er an ihr vorüber die enge, steile Wendeltreppe hinunterlief, zog sie ihm sein Schwert aus dem Gürtel. Mit erhobener Waffe ging sie rücklings die Stufen hinunter, um einen möglichen Angreifer abzuwehren.
Eine Gruppe von Männern ergoss sich wie ein Sturzbach ins Kircheninnere. An der Tür versuchten ein paar Leute, ihnen Einhalt zu gebieten, die Männer aber ließen sich nicht aufhalten. Sonnenlicht, das durch die Tür einfiel, ließ den blanken Stahl in ihren Händen aufblitzen, dass einem die Augen schmerzten. Mallory bemühte sich, die Treppe rasch hinter sich zu bringen. Das Licht war erloschen, so dass sie mit den Zehen nach jeder Stufe tasten musste, während die Dunkelheit sie verschluckte. Feuchte Gerüche verpesteten jeden Atemzug. Kaum war sie unten angelangt, als sie Schritte über sich hörte.
Eine Hand griff aus dem Dunkel nach ihr und zog sie von der Treppe weg hinter einen steinernen Sarkophag, der gewiss zum Gedenken an Saint Porchaire hier stand. Sie fiel auf die Knie und schürfte sich die Hand am rauen Stein auf. Das Schwert hielt sie fest umklammert, um zu verhindern, dass es an den Sarkophag anstieß und sie ihren Verfolgern verriet.
»Wer sind sie?«, hörte sie Saxon flüstern.
Eben wollte sie antworten, dass sie keine Ahnung hätte, als sie begriff, dass die Frage nicht ihr gegolten hatte, da sein Bruder sagte: »Ich weiß es nicht.«
Licht hüpfte die Treppe herunter und ergoss sich einen Augenblick lang über den Sarkophag. Sie sah, dass der kniende Priester stumm betete. Neben ihm saß Sir Godard, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen. Lady Elita umklammerte die Schulter Saxons, der den Arm um Lady Violet gelegt hatte und ihr den Mund zuhielt.
Mallory war sicher, dass das kurze Aufblitzen des Lichtes sie genarrt hatte. Warum sollte Saxon versuchen, die Dame am Schreien zu hindern?
Sie bekam ihre Antwort, als eine Stimme rief: »Meine geliebte Violet, bist du hier unten?«
Ein Lichtstrahl
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