Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
fürchtet, ungeweihte Gräber würden sich auftun und Leichen ausspeien, die sodann in den Wäldern ihr Unwesen treiben.« Er warf den Kopf zurück und lachte. »Sie glaubt diese Ammenmärchen. Andere, die vor uns in diesen Wäldern Zuflucht suchten, haben sie erfunden.«
Christian versuchte sich Avisa vor Angst weinend vorzustellen. Es wollte ihm nicht gelingen. Er hoffte, sie nie in Tränen zu sehen.
»Sie ist nur eine Frau«, sagte er unverändert gleichmütig.
»Die klug genug sein muss, um Euer Lösegeld zu bringen.«
»Das ist unwahrscheinlich. Frauen sind töricht. Sie haben außer Liebeleien nichts im Kopf und denken nur daran, einen Mann in ihr Bett zu locken, der ihnen dafür seinen Namen gibt. Törichter als eine Frau ist nur ein Mann, der mit einer ins Geschäft kommen möchte.« Er zog eine Braue hoch, auf den Hieb gefasst, der kommen musste.
Pyts Augen weiteten sich, ehe seine Faust Christians Kopf gegen den Baum schleuderte. Christian spürte den salzigen Geschmack seines eigenen Blutes. Als er mit der Zunge tastete, ob sich kein Zahn gelockert hatte, sah er, wie der Räuber aufstand und fortging. Pyt war gekommen, um sich an seiner Hilflosigkeit zu weiden, doch Christian hatte Wut und Unsicherheit in seinem Antlitz gesehen.
»Seid auf der Hut, junger Lovell.«
Christian sah nach links und stöhnte. Schmerz durchzuckte ihn, sein Blick trübte sich. Ein Lappen tupfte das Blut ab, das über sein Kinn floss, und er murmelte: »Danke.«
»Pyt wird Euch töten, wenn Ihr zum Ärgernis werdet.« Ein älterer Mann in einem langen Gewand, das so grau war wie sein Haar, saß vor Christian. Seine Bewegungen ließen ahnen, dass er weit jünger war, als die vielen Runzeln, die sich in sein Gesicht eingegraben hatten, vermuten ließen.
Ein bekanntes Gesicht. Christian hatte es schon gesehen. Aber wo? Seine Gedanken waren so unsicher wie sein Sehvermögen. Er versuchte sich zu konzentrieren und ignorierte den Schmerz, der ihn fest im Griff hatte. Dann kam jäh das Erkennen.
»Ich sah Euch auf Castle Orxsted«, sagte er.
»Ja, dort habt Ihr mich gesehen, so wie Ihr mich kurz davor gesehen habt.«
»Zuvor?«
»Als Ihr Euren Bruder wegen seiner mangelnden Achtung für einen Greis gescholten habt.«
Christian brummte einen Fluch. »Ihr seid der Alte, den er kränkte?«
»Ja.«
»Das ergibt keinen Sinn. Wie kommt es, dass Ihr so weit entfernt von dem Ort seid, wo wir Euch zuerst trafen?«
Der Mann vollführte eine ausholende Handbewegung. »Weil dies mein Zuhause ist.«
»Ihr gehört nicht zu Pyts Männern?«
»Ich bin mein eigener Herr, aber Pyt dient im Moment meinem Zweck.«
»Und der wäre?«
Der Alte kicherte. »Das hat Euch nicht zu kümmern. Eure einzige Sorge sollte es sein, den morgigen Tag zu erleben. Erwartet nicht, dass Pyt Euch freilässt, wie er Euren Bruder laufen ließ, als der junge Tölpel ihm lästig wurde.«
»Er ließ Guy frei, damit dieser mein Lösegeld aushandelt.«
Der Alte schüttelte den Kopf, und Christians Blick verschwamm wieder, als er versuchte, die Miene seines Gegenübers zu ergründen. Der alte Mann legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Er war drauf und dran, Euren Bruder zu töten, ehe Ihr ihm in die Falle getappt seid. Jetzt ist er wütend, weil ihm klar ist, dass Euer Bruder sogar unfähig ist, das Lösegeld für Euch zu beschaffen.«
Christian wollte widersprechen, konnte aber die Wahrheit nicht bestreiten. Guy hatte gewiss die Absicht zu helfen – bis er von einem hübschen Frauenzimmer abgelenkt wurde.
»Lasst mich laufen, und ich sorge dafür, dass Ihr belohnt werdet«, sagte Christian.
»Die Belohnung nützt mir nichts, wenn ich tot bin. Wenn Ihr glaubt, Ihr könnt Pyts Wald entkommen, irrt Ihr Euch. Er wird Euch und Eure Gefährten tot sehen, ehe die Sonne aufgeht. Pyt hasst jeden, der mithalf, Henry Curtmantle an die Regierung zu bringen.«
»Dann sollte er niemanden meines Blutes verachten.« Er versuchte gar nicht, die Bitterkeit aus seinem Ton zu bannen. Sein Kopf schmerzte mit jeder Sekunde mehr.
»Euer Vater kämpfte wacker und mit großer Kühnheit in mehreren Gefechten gegen Stephen. Pyt wird das nicht vergessen.«
»Er hat die Feigheit meines Vaters nicht vergessen.«
»Hört auf mich, junger Lovell, damit ich Eurer Familie eine alte Schuld zurückzahlen kann. Eine Schuld, die länger zurückreicht, als König Henry den Thron innehat.«
»Meiner Familie? Was für eine Schuld, die länger …« Seine Augen wurden groß. »Was
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