Die Lady mit der Feder - Roman
merkte, als er mit den geschmeidigen Schritten eines geübten Kriegers auf sie zugeschritten kam. Sein Umhang vermochte die gestählten Muskeln nicht zu verbergen. Eine Narbe quer über der linken Hand zeugte davon, dass er aus den Kämpfen nicht unversehrt hervorgegangen war.
Sie konnte sich seiner Faszination nicht entziehen, die seine offensichtliche Kraft auf sie ausübte. Ihr Versuch, ihre Gedanken zu ordnen, war ein Fehlschlag gewesen. Fast hätte sie die Verbindung zwischen der Königin und St. Jude’s Abbey und ihre eigene Stellung im Kloster verraten. Die Äbtissin hielt ihn für vertrauenswürdig, Isabella aber war nicht ganz überzeugt.
Dennoch hatte sie Grund, erleichtert zu sein, da er einverstanden war, dem Vorschlag der Äbtissin zu folgen und sie zu begleiten. Erleichtert? Das war nicht das passende Wort, um den in ihr tobenden Sturm zu beschreiben.
»Ihr seid also nicht Nonne in der Abtei meiner Tante?«, fragte Lord le Courtenay.
»Nein.« Sie musste auf der Hut sein und durfte nicht verraten, dass keine der Frauen innerhalb der Klostermauern ein ewiges Gelübde abgelegt hatte, da ihr Gelöbnis Königin Eleanor galt.
»Eine Novizin also?«
»Nein. Ich ging ins Kloster, um dort Arzneikunde zu studieren. Ich wollte alles lernen - die Wirkung der Heilkräuter und Salben und wie man Gliederbrüche einrenkt.«
»Wenn Ihr wollt, Mylady, dass ich Euch bei Eurem Namen nenne, will ich Eurem Wunsch entsprechen.« Er lachte leise und lenkte ihren Blick wieder auf seine Kapuze. Nun erst wurde ihr bewusst, dass sie seine starken, in abgetragenen Stiefeln steckenden Beine angestarrt hatte. »Isabella, wollte ich sagen. Aber Ihr wisst, dass auch Ihr meinen Vornamen benutzen sollt, da es unpassend wäre, meinen Titel zu nennen, wenn Ihr den Euren nicht hören wollt. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen wollt …«
»Euch entschuldigen?« Hatte er nicht eben eingewilligt, sie zu begleiten?
Als hätte sie diese Frage laut geäußert, sagte er: »Ich werde Euch helfen, nachdem ich meinen Freund zur ewigen Ruhe gebettet habe.«
»Ihr sagtet, dass die Brüder der Priorei ihn nicht …«
»Ich habe die Absicht, Ryce nach La Tour du Courtenay zu bringen. Anschließend werde ich Euch helfen, dem Wunsch der Königin zu entsprechen.«
»Wir müssen möglichst rasch nach Lincoln.«
»La Tour liegt auf unserem Weg.« Er lächelte ein wenig schief. »Seid versichert, dass ich aufrichtig mit Euch bin.«
»Deshalb sollte ich Euch nicht so ausfragen, wie Ihr es mit mir getan habt.«
»Ich hoffe nicht.« Er kniete nieder und zupfte an dem Unkraut, das auf dem Grab wucherte.
Sie bewunderte seine Freundestreue, die über den Tod hinaus
hielt, doch war ihre Zeit knapp bemessen. Um sicherzustellen, dass er ihr rechtzeitig half, die Papiere für die Königin zu finden, musste sie ihm helfen, seinen Freund in geweihter Erde zu bestatten.
Ohne den Regen zu beachten, der sich zu einem Nieseln abgeschwächt hatte, fragte sie: »Wie kann ich dabei helfen?«
»Helfen?« Er hob den Blick, seine Kapuze glitt zurück. Erstaunen flammte in seinen erdbraunen Augen auf.
Und auch in ihren, wie sie sicher zu sein glaubte, als sie ihn anstarrte. Sein Gesicht war an der rechten Schläfe gesprenkelt, als hätte eine Wahnsinnige ihn zusammengeflickt. Als er seine Kapuze wieder über den Kopf zog, war sein linkes Profil so hübsch, dass einem fast der Atem stockte. Glattes schwarzes Haar streifte seine Schultern und fiel ihm in die Augen. Sein energisches Kinn wurde von einem dichten Backenbart betont.
»Wie wollt Ihr mir helfen?«, fragte er scharf, und sie wusste, dass ihm ihr Blick nicht entgangen war.
Sie hatte auf dem Weg nach Kenwick andere Männer mit Narben gesehen. Viel zu viele, ein sicheres Zeichen für den im Gange befindlichen Krieg, den die Plantagenets, Vater und Söhne, führten. Aber nichts hatte sie mehr erschreckt als der Anblick der Verwüstung in Jordans Gesicht. Nicht nur die Narben auf seiner Haut, sondern auch der Schmerz in seinen Augen.
Sie schüttelte ihren Sack ab, froh, dass die Bewegung ihr einen Vorwand bot, den Blick abzuwenden. Den Schmerz, der ihre linke Schulter durchzuckte, beachtete sie nicht. Sobald sie ihre Verpflichtung erfüllt hatte, blieb ihr genug Zeit, die Schulter zu schonen.
Verstohlen tastete sie in die Senke zwischen ihren Brüsten, um sich zu vergewissern, dass sie den Schlüssel zu der Kassette nicht verloren hatte, die dem Bischof von der Königin übergeben worden war. Isabella
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