Die Lady mit der Feder - Roman
Waffen geraubt, nachdem sie ihn töteten?
Ihr war nicht klar, dass sie diese Frage flüsternd geäußert hatte, bis Jordan erwiderte: »Der Sieger eines Turniers hat das
Recht auf Waffen und Ross des Unterlegenen wie im echten Kampf.«
»Warum werden Turniere dann ausgefochten?«
»Um der Ehre willen.«
»Ehre ist für einen Toten nutzlos.«
»Stimmt.«
Das Bedauern in seinem Ton ließ sie wünschen, sie würde die richtigen Worte des Trostes finden. Und wieder wollten sie ihr nicht einfallen.
»Führt Ihr eine Decke in Eurem Sack mit?«, fragte Jordan.
»Ja.«
»Überlasst sie mir. In La Tour du Courtenay bekommt Ihr eine neue von mir.«
Sie zog eine hellbraune Decke heraus und breitete sie am Fuß des Grabes auf dem Boden aus. Er wollte protestieren, als sie zupacken wollte, um ihm zu helfen, das herauszuheben, was von seinem Freund geblieben war, doch bewirkte ihr finsterer Blick, dass er sich die Bemerkung verkniff.
Trotz ihrer Erklärung, sie könne helfen, wichen ihre Finger vor den Gebeinen zurück. Während ihrer Studien hatte sie viele Knochen ausgegraben, doch waren es Tierknochen gewesen. Und einer Schwester einen beim Training verrenkten Knochen einzurichten war etwas völlig anderes, als die Überreste eines einst lebendigen Menschen zu berühren. Sie versuchte, den beißenden Geschmack hinunterzuschlucken, doch revoltierte ihr Magen wie ein nicht zugerittenes Pferd.
»Ich habe ihn«, sagte Jordan in einem Ton, der so angespannt war, wie ihrer gewesen wäre, hätte sie zu sprechen gewagt.
Mit einem Nicken richtete sie sich auf, als er die Gebeine sacht auf die Decke legte. Er umhüllte sie mit einer Sorgfalt, als könne er damit seinen Freund wiederauferstehen lassen. Sie wandte den Blick ab. Seine Trauer war überwältigend.
Etwas Helles im Grab fesselte ihren Blick. Einen Moment glaubte sie, Gebeine wären zurückgeblieben. Ohne Rücksicht auf ihren revoltierenden Magen bückte sie sich, um genauer nachzusehen. Ein Knochen war es nicht. Das Licht wurde von einem Messer mit Elfenbeingriff reflektiert.
»Jordan, vergesst sein Messer nicht.« Sie streckte sich, um nach der Klinge zu greifen.
Seine breitere Hand umfasste ihr Handgelenk. Er griff an ihr vorüber und hob das Messer so behutsam aus dem Grab wie die Gebeine seines Freundes. Er ließ Isabella los und betrachtete den Messergriff.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Dieses Messer kann nicht Ryce gehört haben.« Er strich über die Gravur. »Das ist nicht das Familienwappen.«
Sie beugte sich vor. Die Gravur zeigte zwei Männer, einen Reiter und einen zweiten, der das Pferd führte. »Dann muss es einem der Männer gehört haben, die ihn töteten. Was bedeutet der Spruch? Semper minax, nunquam submissus.«
»Das ist Latein und heißt ›Immer fordernd, niemals bescheiden. ‹«
»Ich weiß. Was ist sonst zu sehen?« Um es aus der Nähe sehen zu können, legte sie ihre Hand auf seinen Arm.
Ein verwirrendes Gefühl schoss von ihren Fingern aus den Arm entlang und durchströmte sie, ehe sie den nächsten Atemzug tun konnte. Es war wie seinerzeit in ihrer Kindheit, wenn sie bei Unwettern im Freien gestanden und Blitze beobachtet
hatte. Ein Schauer durchlief sie unter der Haut, erregend und beängstigend zugleich.
Seine Hand bedeckte ihre, und sie hob langsam den Blick von seinen breiten Fingern, ließ ihn über seine mit der schlichten Tunika aus Wollstoff bedeckte Brust gleiten, ehe sie ihn zu seinem Kinn hob, das eine leichte Kerbe aufwies, die ihr bisher entgangen war - und dann seinem Blick begegnete. Konnte er ihr Herz hören? Es dröhnte in ihren Ohren wie in dem Moment, als die chemischen Substanzen in der Scheune der Abtei explodierten.
»Ist Euch auch wohl?« Seine Stimme schien aus großer Ferne zu kommen, obwohl er unmittelbar neben ihr stand.
»Ja«, sagte sie automatisch.
»Euer Gesicht ist gerötet. Hoffentlich wird Euch nicht übel.« Er schenkte ihr ein Lächeln, und ihr aufgebrachter Magen schien wie ein Fisch auf dem Trockenen zu zappeln.
Würde sie eingehen wie ein Fisch an Land? Warum diese Atemlosigkeit? Wenn sie den Anblick eines menschlichen Skelettes ertragen hatte, wieso brachte sie dann die Berührung eines lebenden Menschen so aus der Fassung?
»Seid Ihr sicher, dass Euch nicht übel ist?«, fragte er wieder.
»Ja.«
»Gut.« Er hob seine Hand von ihrer und entzog zugleich seinen Arm ihren Fingerspitzen.
Isabella faltete die Hände und tat einen tiefen Atemzug. Sie hatte auf seinen Kummer
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