Die Lady mit der Feder - Roman
Fingerspitzen hatten sie dermaßen in Verzückung versetzt, dass ihr Verstand aussetzte. Jetzt aber war der Bann gebrochen, und die Tatsachen waren simpel. Sie gehörte in die Abtei, den einzigen Ort, wo sie hoffen konnte, ihre Studien fortzusetzen und die Antwort auf ihre Experimente zu finden. Jordans Leben war hier auf La Tour, und sobald sie ihre Mission im Dienst der Königin erfüllt hatte, würden beide dorthin zurückkehren, wohin sie gehörten.
Sie ließ sich auf das Kissen zurücksinken und starrte hinauf zum Betthimmel, der sich in der Dunkelheit verlor.
Deine Worte riefen mir in Erinnerung, dass du keine Frau bist, die sich für billigen Tand verkauft. Wichtiger noch, ich darf dir deine Hilfe bei Erfüllung meines Gelübdes nicht vergelten, indem ich heute deine Jungfräulichkeit raube.
Jordan hatte Recht. Sie redete zu viel.
Isabella erwachte und rührte sich nicht. Ihre noch mit den letzten Resten des Schlafes behafteten Gedanken kämpften darum zu verstehen, was ihr Körper bereits wusste. Wieder prasselte Regen gegen die Fensterbalken, doch war es nicht dieses vertraute Geräusch, das sie geweckt hatte. Dann merkte sie, dass das Fenster nicht auf der Seite des Raumes war, wo es sein sollte. Sie liebte ihr Gemach in der östlichen Ecke des Kreuzganges, wo sie von den ersten Sonnenstrahlen geweckt wurde.
Dieses Fenster aber sah nach Norden, und das Bett war so weich, wie sie es in der Abtei nicht kannte.
Binsen raschelten so leise, dass ihr das Geräusch nicht aufgefallen wäre, hätte sie in ihrem eigenen Bett gelegen. Jemand befand sich im Raum. Nicht in ihrem Raum. In Jordans Schlafgemach.
Sie griff unter ihr Kissen und zog langsam das Messer hervor, das sie dort verborgen hatte. Sie hielt es unter der Decke, als sie die letzten Schlafreste wegblinzelte.
Dann sah sie eine schattenhafte Bewegung.
Ein Mann. Er stand neben dem Tisch und machte sich an ihren Beuteln zu schaffen. War er verrückt? Wenn er einige der Stoffe mischte, konnte es eine unkontrollierte Explosion geben wie in der Scheune der Abtei!
»Hände weg!«, rief sie und sprang mit gezücktem Messer aus dem Bett.
Er fuhr herum und traf ihren Arm. Das Messer entglitt ihren Fingern und verschwand in der Dunkelheit. Auflachend drang er mit seiner eigenen Klinge auf sie ein.
»Wo ist es?«, herrschte er sie an. Seine Stimme war ein heiseres Kratzen.
»Wo ist was?« Sie sprang zurück, als er abermals mit seinem Messer ausholte.
»Ihr wisst, was ich will.«
»Keine Ahnung.«
»Lügnerin!«
Wieder sprang sie zur Seite und stieß gegen die Kiste am Fuß des Bettes. Sie fiel um, raffte sich rasch auf und schrie laut, als er sie wieder mit dem Messer bedrängte. Sie zögerte nicht und versetzte ihm einen Tritt unters Kinn, der ihn zu Boden warf. Er traf hart auf und glitt auf den Binsen aus, ehe er mit der Schulter gegen die Wand prallte. Es folgte ein Stöhnen, dann verstummte er.
Licht durchflutete den Raum, und Isabella drehte sich um und sah Jordan in der Tür. Hinter ihm ein paar Leute, Männer und Frauen, die an ihm vorüberspähten, um zu sehen, warum sie geschrien hatte. Einer von ihnen - vielleicht Lew, doch konnte sie an Jordan nicht vorbeisehen - hielt eine Fackel.
Mit wenigen Schritten durchquerte Jordan den Raum. Er blickte von ihr zu dem am Boden Liegenden, packte sie an der Schulter und fragte: »Isabella, alles in Ordnung?«
»Ja«, sagte sie. Oder, um ehrlich zu sein, versuchte sie es zu sagen, doch hörte es sich eher wie das Zischen einer Schlange an, unsicher und auf- und abschwellend.
»Was ist geschehen?«
»Ich erwachte und ertappte ihn, wie er umherschlich.« Sie verschränkte die Arme, um das Zittern zu unterdrücken, das sie bei dem Gedanken überkam, wie leicht er sie im Schlaf hätte töten können. Hielt sie die Arme nicht eng an sich gedrückt, würde sie sie um Jordan schlingen, und sie war nicht sicher, wie er in Gegenwart seines Gesindes reagieren würde.
Sie sagte sich, dass es sich auf das Geschehene zu konzentrieren galt, und setzte hinzu: »Ich dachte, er wäre ein Dieb, doch weiß ich nicht, was er wollte.«
Über seine Schulter fragte Jordan: »Lew, erkennt Ihr ihn?«
»Nein.« Der Alte betrat vorsichtig den Raum, gefolgt von der Dienerin, die Isabella zuvor in das Gemach gebracht hatte. Keiner der beiden begegnete ihrem Blick.
Isabella wollte ihnen sagen, dass sie mehr im Sinn hatte als ein Missverständnis. Sie drehte sich um und machte sich auf die Suche nach dem Messer, das ihr
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