Die Lady mit der Feder - Roman
einer der Kapellen. Soll ich Euch zu ihm führen?«
»Ja, vielen Dank.«
»Bitte, folgt mir.«
Jordan nahm ihre Hand und legte sie auf seinen Arm, als sie die eindrucksvolle Länge der Kirche abschritten. Säulen führten zu Bogen, die sich auf Galerien öffneten. Die große freie Fläche wurde nicht von Gestühl unterbrochen, auch nicht vor der Kanzel, die aus demselben glänzenden Holz gemacht war wie der Chor. Den Lettner schmückten Pflanzensymbole.
»Warum habt Ihr nicht auf mich gewartet?«, fragte Jordan so leise, dass der knapp vor ihnen gehende Priester es nicht hören konnte.
»Ich habe gewartet. Eine Stunde, wie mir die Kirchenglocken anzeigten.«
»Ich wurde aus gutem Grund aufgehalten.«
»Sagt es mir, wenn Ihr könnt.« Sie drückte seinen Arm. »Nächstes Mal werde ich geduldiger sein.«
»Ihr? Geduldig?«
»Macht Euch auf Überraschungen gefasst.«
»Das bin ich bei Euch immer, Isabella.« Sein Lachen bezauberte sie und brachte ihnen einen neugierigen Blick des Priesters ein.
Als sie über seinen Arm strich, hoffte sie, sie würden einen Weg finden, den Abgrund zwischen ihnen zu überwinden. Sie war nicht sicher, wie, doch wagte sie zu hoffen, dass es möglich sein würde.
17
K anonikus Anthony ist hier«, sagte Vater Joseph, als er vor einer kleinen Kapelle seitlich des großen Kirchenschiffes stehen blieb.
»Ich danke Euch«, sagte Isabella.
Er neigte den Kopf in ihre Richtung und ging weiter zur Vorderseite der Kirche.
Ein Mann lag vor einigen Heiligenstatuen auf den Knien. Er hatte eine Tonsur und war so schlicht gekleidet wie die Mönche der Kenwick Priory. Als er sich erhob, ließ das Kerzenlicht vom Altar her die Goldkette glänzen, an der das Holzkreuz auf seiner Brust hing.
»Ihr wollt mich sprechen?«, fragte der Mann.
»Kanonikus Anthony, wir hoffen, dass Ihr uns helfen könnt«, sagte Jordan. »Ich bin Jordan le Courtenay, und das ist Lady Isabella de Montfort. Wir suchen etwas, das dem Bischof zur Verwahrung übergeben wurde.«
»Der Bischof ist nicht mehr da.«
»Das wissen wir, doch hoffen wir, dass Ihr uns helfen könnt.«
»Und was wurde dem Bischof übergeben?«
»Eine Kassette …«
»Eine Metallkassette«, warf Isabella ein.
Jordan blickte sie an und sagte: »Eine Metallkassette, in der sich Schriftstücke befinden. Sie ist nicht groß.«
Der Kanonikus strich sich über die Stirn. »Möglich, dass sie noch da ist. Gehört sie Euch?«
»Meine Tante, Äbtissin einer kleinen Abtei im Süden, schickte uns, um sie zu finden.«
»Eine Äbtissin, sagt Ihr?« Kanonikus Anthony lächelte. »Ihr tut ein gutes Werk, wenn Ihr sie für Eure Tante sucht.«
Auch Isabella lächelte, erleichtert, weil Jordan nicht verraten hatte, dass sie eigentlich im Auftrag der Königin hier waren. Kathedrale und Stadt waren aufs Engste mit König Henry verbunden. Die kirchlichen Würdenträger würden vielleicht nicht bereit sein, der Königin zu helfen.
»Wisst Ihr, wann die Kassette dem Bischof übergeben wurde?«, fragte der Kanonikus. »Ich wurde von Geoffrey, dem natürlichen Sohn des Königs, in mein Amt berufen, als er Bischof von Lincoln war.« Er hielt inne, offenbar in Erwartung einer Bemerkung ihrerseits.
Isabella wusste nicht, was sie sagen sollte, da der illegitime Sohn des Königs sich im Verlauf einer Auseinandersetzung mit seinem Vater, einer der vielen, die er und seine Brüder mit König Henry hatten, als Mann der Kirche zurückgezogen hatte. Sie entschied sich für eine nichtssagende Äußerung. »Ihr seid also mindestens zwei Jahre in Eurer Position.«
»Acht Jahre, Mylady, da Bischof Geoffrey sehr lange Bischof von Lincoln war.«
»Dann seid Ihr mit der Kathedrale vertraut und könnt Euch denken, wo der Bischof eine solche Kassette verwahrt haben könnte.«
»Natürlich.« Er ging an ihnen vorüber. »Gestattet, dass ich Euch durch die Kathedrale führe, während ich einen Bruder mit der Suche beauftrage. Viel kann nicht zurückgeblieben sein, da der Bischof alles von Bedeutung nach Rouen mitnahm.« Er rief einen vorübereilenden Mönch zu sich und gab ihm hastig die Anweisung, sich auf die Suche nach der Kassette zu machen.
Wieder verspürte Isabella eine Aufwallung von Hoffnung. Konnte es denn so einfach sein? Nur eine Frage, und das Gesuchte wurde ihnen übergeben? Sie verschluckte ein Lachen. Würde der Kanonikus entgeistert sein, wenn sie vor Freude tanzte und sang, nachdem der Mönch ihr die Kassette gebracht hatte? Sie legte die Finger auf den
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