Die Lady mit der Feder - Roman
ich war wohl dumm genug zu glauben, es gäbe für Euch vielleicht andere Gründe, die Euch außerhalb der Abteimauern festhalten könnten.«
»Jordan, was Ihr geträumt habt …« Hitze stieg ihr in die Wangen, und sie wusste, dass sie wieder errötete. Sie wünschte,
er hätte ihr nie von seinen Phantasien erzählt. Die Bilder tanzten ihr auch noch durch den Kopf, als sie zu schlafen versuchte.
»Ich weiß. Ich werde es nie wieder erwähnen.«
»Gut.« Sie ging zur Treppe am Ende des Ganges.
Hinter sich hörte sie ihn sagen: »Aber ich werde es nie vergessen.«
Ich auch nicht.
Wo war Jordan? Er hatte versprochen, sich mit ihr vormittags zu treffen, um mit ihr zur Kathedrale hinaufzusteigen. Isabella, die an der grünen Tür auf und ab lief, war bemüht, ihre Wut zu bezähmen. Vorübergehende starrten sie an, doch schenkte sie ihnen keine Beachtung. Sie fühlte sich sonderbar verletzlich ohne ihre Peitsche und ihren Sack mit Kräutern und Chemikalien. Aber sie konnte sich auch nicht vorstellen, mit solchen Dingen eine Kathedrale zu betreten.
Oder in ihrem ramponierten Kleid. Am Abend zuvor hatte sie ihr zweites Kleid hervorgeholt, doch war der schwere Rock total verknittert. Dennoch war das schlichte gelbbraune Kleid mit der hellblauen Bänderverschnürung und der phantasievollen Stickerei das Schönste, das sie jemals getragen hatte. Die Ärmel reichten ihr fast bis zu den Knien und schlossen mit dichten Rüschen ab. Ihr Haar hatte sie unter einem Seidenschleier ordentlich in Flechten um den Kopf gewunden, so dass sie trotz ihrer abgetretenen Stiefeletten nicht besser hätte aussehen können, wie sie wusste.
Glockengeläut ertönte vom Ende der Straße her. Sie hatte nun eine Stunde auf Jordan gewartet, da die Glocken auch geläutet hatten, als sie nach Lady Odette sah, die wieder
lautstark jammerte, ehe sie eine Dosis des Petersilienöls schluckte.
Sie raffte ihren Rock höher und ging hügelan. Der Weg war so steil, dass sie langsamer gehen musste, als sie an dem einzelnen Steinhaus vorüberkam. Ein auffallender Bogen, mit sonderbaren eingemeißelten Ornamenten an beiden Enden, krönte den Eingang. Zwei weitere Bogen wölbten sich über Fenstern zu beiden Seiten des Obergeschosses. Jener in der Mitte war schlicht und ohne Verzierung.
Sie wunderte sich, dass man ein Haus auf so steilem Gelände bauen konnte, doch drängte sich auch beidseits der schmalen, gewundenen Straße Haus an Haus. Bäume klammerten sich an kleine Flecken Erdreich, fest entschlossen, hier auszuharren. Als sie sich dem Hügelkamm näherte, zweifelte sie, ob zwei Pferde nebeneinander zwischen den Häusern Platz gehabt hätten.
Der Hügel zog sich in die Länge, war jedoch nur mäßig steil, als sie ein Plateau erreichte, auf dem zwei große Bauwerke einander an zwei entgegengesetzten Mauern der Stadt gegenüberstanden. Ein Blick zur Burg zeigte ihr einen Turm unmittelbar am Steilabfall. Er wurde von einem Holzbau überragt, dessen Fensteröffnungen Aussicht nach allen Richtungen boten. Es war ein Aussichtsturm, der es ermöglichte, sich rechtzeitig auf einen Angriff einzustellen. Der Burg-Steward konnte seine Bewaffneten auf dem gemauerten Zwischenwall postieren, der erst jüngst errichtet worden sein musste, da die Steine nicht verwittert waren wie jene auf La Tour.
Sie wandte der Burg den Rücken zu. Vor ihr erhob sich jenseits der Gebäude auf dem Kamm des steilsten Hügelteiles die wuchtige Kathedrale mit ihren Zwillingstürmen. Sie
staunte über die mit Skulpturen und Reliefs geschmückte und reich gegliederte Vorderfront, an der sich über den Eingängen und Fenstern Reihen von Bogen dahinzogen. Unter ihnen sah man Steinfiguren, die für die Allgemeinheit verständlich biblische Szenen darstellten. Kleinere Portale führten zu den Seitenschiffen. Eine Spitze krönte jedes Ende der Fassade, und die Türme zu beiden Seiten des Hauptportals nahmen einem die Sicht auf den Himmel. Vögel umflatterten die Dachtraufen und die Türme, in denen Glocken die Stunden schlugen. Durch die offenen Portale wehte gedämpftes Stimmengewirr heraus.
In der Hoffnung, Jordan zu sehen, blickte sie die Straße entlang. Da sie gemeinsam so weit gereist waren und so viel erlebt hatten, wollte sie ihn bei sich haben, wenn sie die letzten Schritte unternahm, um der Königin zu verschaffen, was nötig war, um England vor einem neuerlichen Krieg zu bewahren.
Er ließ sich nicht blicken.
Isabella seufzte. Sie hatte nicht geahnt, dass das Ende ihrer
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