Die Lady mit der Lanze
sie eingehen.
Lederscharniere knarrten, als sie die Tür öffnete. Sie knarrten noch mehr, als sie die Tür hinter sich schloss. Der Raum war klein, nicht mehr als ein paar Schritte nach beiden Richtungen. Eine einzige Funzel brannte in einer Ecke. In dem fensterlosen Kämmerchen, in das nie frische Luft gelangte, waren die Ausdünstungen von Krankheit und Ausscheidung bei jeden Atemzug spürbar. Bis auf einen Strohsack, auf dem sich eine Decke befand, war der Raum leer.
Als sie langsam näher ging, erkannte sie eine Gestalt unter der Decke, so abgezehrt, dass nur ein Fingerbreit zwischen Decke und Strohsack war.
»Wer bist du, Kind?«, kam eine erstaunlich kräftige Stimme vom Strohsack her.
»Ich bin Elspeth.«
»In der Burg gibt es keine Elspeth.«
»Ich bin auf der Reise und fand hier Unterkunft.«
Ein knochiger Finger hob sich und bedeutete Elspeth, näherzukommen. »Was führt dich zu mir?«
»Bist du Rhan, die weise Frau?« Sie kniete neben dem Strohsack nieder und starrte in ein faltiges Gesicht, das sie an die nackten, gefurchten Felsen im Gebirge erinnerte. Erstaunlich dichtes weißes Haar war über den fleckigen Strohsack gebreitet. Jemand musste es vor kurzem gebürstet haben, da es wie frisch gefallener Schnee schimmerte.
»Die bin ich«, sagte die Alte auf dem Strohsack.
»Besitzt Ihr Wissen, das über die Kräuterkammer hinausreicht?«
Rhan lachte, ein tiefes, heiseres Geräusch. Elspeth musste an ein Messer denken, das an einem Stein geschärft wird. »Ich habe in meinem Leben viele Dinge gesehen, Kindchen. Und aus allem zog ich eine Lehre, so dass ich viel weiß, was nichts mit der Kräuterkammer zu tun hat, der ich einst vorstand.« Sie hob einen zitternden Finger. »Aber wenn du einen Liebestrank möchtest, um das Herz eines jungen Mannes zu gewinnen, bist du vergebens gekommen. Solche Tränke mische ich nicht mehr, und die Geheimnisse werde ich dir nicht verraten.«
»Ich will keinen Liebestrank.«
»Nein? Du siehst aus wie eine junge Frau, die an Liebeskummer leidet.«
»Ich will keinen Liebestrank.« Sie war froh, nicht in Versuchung zu geraten. Im Kloster hatte man sie gelehrt, dass solche Tränke nutzlos waren, doch abends nach der Vesper hatten sich die Schwestern oft zusammengesetzt und geklatscht. Mehr als eine hatte im Flüsterton gefragt, ob es wohl eine Kräutermischung mit Zauberkraft gäbe, die das Herz eines Mannes entflammen konnte.
»Warum bist du dann gekommen, um mit der alten Rhan zu sprechen?«
»Ich möchte mehr über Llech-lafar erfahren.«
»Ich kenne den Stein, von dem du sprichst«, murmelte die Alte.
»Weißt du, wo er sich befindet?«
»Am Lauf des Flusses Alun.«
»Wo ist das?«
Die Alte runzelte die Stirn. »Wer bist du, dass du den Fluss Alun nicht kennst?«
»Ist es der Fluss unweit von Pembroke Castle?«
Der König war von Pembroke aus nach Irland gesegelt und würde vielleicht dort wieder zurückkehren. Auf dem Weg nach Irland war er womöglich unbeschadet auf den Stein getreten, da der Fluch nur bei seiner Rückkehr wirksam wurde.
»Nein.« Rhans Stirnfalten wurden tiefer. »Er mündet in die See nahe der Stelle, wo die St. David’s Cathedral stand, ehe sie niederbrannte. Warum möchtest du etwas über den Stein erfahren?«
Elspeth ballte ihre Hände im Schoß zu Fäusten. In der Nähe der St. David’s Cathedral? Das würde bedeuten, dass sie dieselbe Richtung einschlagen musste wie Tarran und seine Gefährten. Völlig irrationale Freude löschte alle anderen Gedanken aus und wirbelte durch sie hindurch. Sie versuchte sie zu dämpfen, ein kleiner Rest aber blieb und sandte Schauer über ihre Haut.
Es kostete sie viel Kraft, ihre Stimme ruhig zu halten. »Ich frage aus Neugierde.«
Rhan schüttelte den Kopf und zuckte zusammen, als schmerze sie diese einfache Bewegung. »Du bist eine Sais. Für dein Volk gibt es nur zwei Gründe, Offa’s Dyke zu überschreiten: Eroberung und Hoffnung auf Reichtümer.«
Elspeth lächelte. »Das trifft auf mich nicht zu. Ich bin gekommen, um mehr über Llech-lafar zu erfahren, weil ich neugierig bin, ob die Legende auf einem wahren Kern beruht.«
»Und um dafür zu sorgen, dass euer normannischer König nicht darauftritt?«
Sie hoffte, dass man ihr ihre Betroffenheit nicht ansah. Die Alte war wahrhaftig weise. »Ich habe keinen Einfluss darauf, was König Henry tut. Als Mann von jäher Wesensart tut er, was er will und hört auf keinen Rat.«
Rhan griff nach Elspeths Hand. Ihr Griff war so
Weitere Kostenlose Bücher