Die Lady mit der Lanze
obwohl er ihren Arm vor sich sehen konnte. »Addfwyn, warum kann ich dich nicht berühren?«
»Weil du nicht hierher gehörst. Du wandelst noch in der Menschenwelt. Dort wirst du bleiben, bis es Zeit für dich ist, den Vorhang zu diesem Land zu durchschreiten.«
»Lass mich einen Weg finden, zu kommen und bei dir zu bleiben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du, der du mein Mann warst, musst dein Leben leben, wie es dir zugedacht ist. Geh zurück in deine Welt. Dort ist für dich noch viel zu tun. Du musst es zu einem Ende bringen, ehe du zu Recht hier sein kannst.«
Er wollte widersprechen, doch schwanden die Worte aus seinem Mund. Die schöne Szene verblasste wie das letzte Dämmerlicht.
Er erwachte, wieder einmal allein.
9
Als Elspeth am nächsten Morgen die große Halle betrat, wirkte diese merkwürdig verlassen, vielleicht deswegen, weil kein Licht brannte und niemand an der Hochtafel war. Sie ging zu Vala, die bei ihrem Frühstück saß. Einer von Tarrans Männern war bei ihr, Kei ap Pebin, wenn sie den Namen richtig behalten hatte. Er war einer der Männer, die versucht hatten, sie von Iau wegzuzerren. Sie dachte, er würde gehen, als sie sich dem Tisch näherte, doch rührte er sich nicht und beobachtete sie genau.
Vala blickte über ihre Schulter und schenkte Elspeth ein einladendes Lächeln. »Komm und setz dich zu uns.«
Falls sie das letzte Wort besonders betont hatte, entging es Elspeth. Kei ap Pebin aber musste es gehört haben, denn seine Miene verfinsterte sich noch mehr.
»Guten Morgen«, sagte sie, als sie sich neben Vala niederließ.
Die alte Frau schob ihr eine Schüssel mit fast erkaltetem Haferbrei hin. Elspeth aß ein paar Bissen und legte dann ihren Löffel hin. Die ganze Nacht über hatte ihr Magen revoltiert, und sie hatte keinen Schlaf gefunden. Auch als sie aus dem Hauptturm ins Freie geschlüpft war und in der Hoffnung, sich zu ermüden, im Mondschein mit ihrem Stock geübt hatte, war es ihr nicht geglückt, ihren Weg in die versöhnlichen Arme des Schlummers zu finden.
»Wo ist Tarran?«, fragte sie.
Kei sah sie unwillig an. »Warum redet Ihr so formlos von ihm?« Er lachte knapp auf. »Oder ist das Eure Art, uns ins Gedächtnis zu rufen, dass Ihr Normannin seid?«
»Dazu bedarf es keiner Erinnerung«, gab sie zurück.
Vala hob die Hände. »Den neuen Tag mit einem alten Streit zu beginnen, ist eine Zeitvergeudung.«
Elspeth murmelte eine Entschuldigung. Sie wusste, wie man sich benahm, auch wenn er es nicht wusste. »Um Eure Frage zu beantworten, Kei, Tarran bat mich, ihn mit seinem Namen zu nennen.«
»Na also«, sagte Vala lächelnd. »Eine völlig vernünftige Antwort. Solltest du noch Fragen haben, mein Junge, dann stelle sie Fürst Tarran.«
»Ich habe eine.« Er legte die Arme verschränkt auf den Tisch, wobei die Finger seiner Rechten über dem Messer verharrten, das neben einem halb verzehrten Brotlaib lag. »Warum habt Ihr uns gestern mit Euren Possen in Gefahr gebracht?«
Sie verschränkte die Arme auf dem Tisch, um es ihm nachzumachen. »Ich war gestern als Einzige gefährdet. Wenn Ihr glaubt, Kei ap Pebin, ich würde das Bett eines Mannes teilen, damit Ihr unter seinem Dach noch eine Mahlzeit und ein weiches Bett genießen könnt, irrt Ihr Euch.« Sich an Vala wendend, der man ansah, wie bekümmert sie war, fragte sie in sanfterem Ton: »Weißt du, wo Tarran ist?«
Ehe die alte Frau antworten konnte, sagte eine tiefere Stimme hinter ihr: »Fürst Tarran kehrte letzte Nacht nicht in unser Gemach zurück.«
Obwohl mächtig wie eine Mauer, bewegte sich Seith ap Mil mit der Behändigkeit eines nur halb so schweren Mannes. Er war nicht dick, doch sehr muskulös. Die Sehnen seiner Unterarme sahen aus wie Seile, die diese Muskelmasse zusammenhielten. Seine Kleidung war so grell, dass sie den Augen zu so früher Stunde wehtat.
Sie stand auf, damit sie nicht Nackenschmerzen bekam, wenn sie zu ihm aufblickte. »Ist das bei ihm Gewohnheit?« Sie versuchte, den Krampf in ihrem Inneren zu ignorieren. Lord de la Rochelle hatte sich gestern rasch mit einer anderen Frau getröstet. Hatte Tarran dasselbe getan? Die Nackenschmerzen wanderten wieder in die Magengegend.
»In letzter Zeit schon.« Seith seufzte.
Vala seufzte.
Kei seufzte.
»Würde mir das jemand erklären?«, fragte sie entnervt.
Vala sah die Männer an und sagte dann: »Der Schlaf meidet ihn, seit seine Frau ermordet wurde. Und wenn er schlafen kann, erschöpfen ihn Albträume so sehr, als hätte er nicht
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