Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
vorsichtig sein sollte. »Vielleicht täusche ich mich ja und kenne ihn doch nicht«, meinte sie. Vielleicht hatten ihre Augen ihr ja tatsächlich einen Streich gespielt. Immerhin hatte niemand den Namen Taylor erwähnt.
»Dr. Taylor möchte Sie jetzt sehen, Charlotte.« Die Vorsteherin, Mrs Moorling, erschien. Ihre strenge Stimme brachte Charlotte völlig aus der Fassung und ließ sie aufspringen. »Dr. Preston ist noch nicht da – ich habe Gibbs losgeschickt, ihn zu suchen. Kommen Sie, kommen Sie, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.« Diese Frau hätte Armeen befehligen sollen statt dieses kläglichen Häufleins schwangerer Frauen. Charlotte lief ihr nach und folgte der älteren Frau über den Flur.
»Mrs Moorling, es tut mir leid«, sagte sie, während sie versuchte, mit der Älteren Schritt zu halten, »ich möchte bestimmt keine Schwierigkeiten machen, aber ich kann mich nicht von Mr Taylor untersuchen lassen …«
»Und warum nicht?«
»Weil ich …« Sie zögerte. Was würde geschehen, wenn sie der Hausdame erzählte, dass sie Daniel Taylor kannte? Würde sie damit ihre Anonymität aufs Spiel setzen? Würde die Frau ihr mehr Fragen stellen, als Charlotte beantworten wollte?
»Miss Smith, Dr. Taylor sieht vielleicht noch jung aus, aber ich versichere Ihnen, er ist ein hervorragend ausgebildeter Mann – besser als die meisten anderen. Zudem ist er verheiratet und absolut respektabel, und auch das ist mehr, als man von vielen anderen sagen kann.« Ihre Stimme hatte einen harten Unterton.
Doch Charlotte war noch ganz damit beschäftigt, was die Vorsteherin soeben gesagt hatte. Mr Taylor war verheiratet. Die Nachricht machte sie irgendwie traurig und beruhigte sie gleichzeitig, sowohl was die bevorstehende Untersuchung als auch, was die Vergangenheit betraf.
»Wenn es ein anderer Arzt wäre, würde ich Ihnen anbieten, während der Untersuchung bei Ihnen zu bleiben, aber ich habe viel zu tun und versichere Ihnen noch einmal, dass Sie in kundigen Händen sind.«
Eine erschreckende Wortwahl , dachte Charlotte.
Mrs Moorling öffnete die Sprechzimmertür, Charlotte tat einen tiefen Atemzug und trat ein.
Er saß an einem schlichten, überdimensional großen Schreibtisch und las einige Papiere. Sie tat ein paar Schritte vorwärts, blieb dann schweigend vor dem Schreibtisch stehen und wartete, dass sie angesprochen würde. Er sah jedoch weiter mit zusammengekniffenen Augen auf das Blatt Papier, das vor ihm lag, und blickte nicht auf.
»Miss Smith?«
»Äh …«
»Miss Charlotte …«, nun blickte er doch hoch und seine Lippen teilten sich leicht vor Überraschung, »… Smith?« Die Frage in seiner Stimme war unverkennbar und in dem kurzen Moment, in dem er da vor ihr saß und sie anstarrte, ohne sich zu bewegen, sah sie das Eis in seinen Augen schmelzen und sofort wieder gefrieren.
»Miss Smith. Setzen Sie sich.« Er sah wieder auf das Blatt Papier, nahm seinen Füllfederhalter heraus und tauchte ihn in die Tinte.
Sie setzte sich, die Hände sittsam im Schoß gefaltet. Hatte er sie vielleicht doch nicht erkannt? Sie war erleichtert, aber auch ein ganz klein bisschen gekränkt bei dem Gedanken. Hatte sie sich in den Jahren seit ihrem letzten Zusammentreffen wirklich so sehr verändert? Er hatte sich zwar auch verändert, war aber eindeutig immer noch der Mann, den sie gekannt hatte. Sein Haar war über der Stirn etwas zurückgewichen, die roten Stoppeln auf seinen Wangen waren noch stärker sichtbar, die Schultern breiter, aber sein Gesicht war so hager wie eh und je. Was sich am stärksten verändert hatte, waren seine Augen. Das leicht spöttische Funkeln, an das sie sich so gern erinnerte, war verschwunden und mit ihm alle Wärme. Jedenfalls wirkte es so.
»Alter … zwanzig?«
Sie fand ihre Stimme wieder. »Ja«, flüsterte sie.
»Ist das Ihre erste Schwangerschaft?«
Sie krümmte sich vor Scham angesichts der ungeschminkten Frage. »Ja.«
»Wann hatten Sie Ihre letzte Periode?«
Noch nie hatte ein Mann über so etwas mit ihr gesprochen! Nicht einmal mit einer Frau hatte sie jemals über solche Themen geredet. Über so etwas sprach man nicht. Sie war zu verblüfft, um zu antworten.
Angesichts ihres offensichtlichen Zögerns erhob er sich, sah sie aber nicht direkt an. »Ich habe vorhin Ihr Gespräch mit Mrs Moorling gehört. Wenn Sie lieber auf Dr. Preston warten möchten, steht dem von meiner Seite aus nichts im Wege. Ich werde es Mrs Moorling selbst sagen.«
»Nein!« Die Dringlichkeit ihres
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