Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
zurück.
Daniel blickte auf Anne hinunter. Sie war jetzt wach und schien hoch erfreut, ihn zu sehen, denn sie kicherte und brabbelte etwas vor sich. Die kleinen Fäuste lösten sich von ihrem Mund und versuchten, seine Nase zu ergreifen.
»Ja … ich glaube, ich habe meine Brille verloren. Erkennst du mich trotzdem?«
Das kleine Mädchen öffnete den Mund zu einem zahnlosen Lächeln.
»Deine Maman ist fort. Es tut mir so leid, meine Kleine. Sie hat dich geliebt. Denk nie, dass sie dich nicht geliebt hat. Sie konnte nur … einfach nicht bleiben. Ich habe versucht, ihr zu helfen, aber ich konnte nicht …«
Thomas und Sally kehrten mit Decken zurück. Kendall legte Daniel die eine über die Schultern, die andere breiteten sie vorsichtig über Lizette. Sally nahm Anne auf den Arm und ging mit ihr zum Cottage zurück.
»Komm, mein Freund«, drängte Kendall sanft. »Gehen wir ins Haus, damit du aus den nassen Sachen herauskommst.«
Daniel sah noch einmal zu seiner Frau hinüber. »Ich kann sie doch nicht hierlassen.«
»Ich kümmere mich um sie«, versicherte ihm Kendall.
Charlotte und Thomas führten Daniel langsam den Hang hinauf ins Cottage.
Am Tag nach der Beerdigung suchte Charlotte Daniel. Schließlich fand sie ihn; er saß auf der Bank und blickte aufs Meer hinaus. Wortlos setzte sie sich neben ihn. Dabei achtete sie sorgsam darauf, genügend Abstand zwischen sich und ihm zu lassen. Mit einem fast unmerklichen Nicken gab er zu erkennen, dass er sie wahrgenommen hatte, und richtete den Blick dann wieder hinaus aufs Meer.
»Sie haben sie nicht gekannt, Miss Lamb. Nicht richtig jedenfalls. Nicht die Frau, die sie einmal war.«
Sie fragte leise: »Wie haben Sie beide sich kennengelernt?«
»Sie arbeitete als Gouvernante in Edinburgh, als ich dort studierte. Das erste Mal sah ich sie in einem Park. Sie schwang ihren kleinen Schützling an den Armen um sich herum und ihrer beider Lachen erfüllte den ganzen Platz. Ich sehe sie noch vor mir in ihrem grün gestreiften Kleid, das dunkle Haar quoll unter dem Strohhütchen hervor und sie lächelte strahlend – ein heller Lichtblick an jenem grauen Tag in Schottland. Sie erzählte mir, dass sie ihr Heim in der Normandie aus purer Abenteuerlust verlassen hatte. Erst später fand ich heraus, dass sie geflohen war, weil ihre Mutter an der gleichen Krankheit litt wie sie jetzt, am Ende.«
Er beugte sich nach vorn, die Ellbogen auf die Knie gestützt. »Ich glaube nicht, dass sie mich mit Absicht getäuscht hat. Ich glaube, sie hat wirklich gedacht oder doch verzweifelt gehofft, das alles hinter sich gelassen zu haben, ihrem Schicksal entgehen zu können. Einmal sind wir nach Caen zu ihrer Familie gefahren. Ich hatte damals schon einen Verdacht, was ihre Mutter betraf, doch es war bereits zu spät. Ich hatte mich in Lizette verliebt. Ich hätte sie auch geheiratet, wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukam.«
Nach ein paar Minuten des Schweigens seufzte Daniel. »Trotzdem, ich hätte es kommen sehen müssen. Ich hätte es irgendwie verhindern müssen.«
Sie blickte zu ihm hinüber und sah, wie er schmerzerfüllt den Kopf schüttelte.
»Ich wollte sie an einen sicheren Ort bringen, aber sie bat mich zu bleiben. Sie sagte, es gefiele ihr hier so sehr, hier fühle sie sich ihrem Zuhause näher. Zu nahe, wie sich gezeigt hat.«
»Woher hätten Sie das wissen sollen? Ihr Zustand hatte sich doch so sehr gebessert.«
»Das dachten wir jedenfalls. Oder sie wollte es uns glauben machen. Aber ich hätte sie besser kennen müssen.«
»Mr Taylor …« Ohne es zu wollen, war sie in die frühere Anrede zurückgefallen.
»Wenn ich nur eine wirksamere Behandlungsmethode gefunden hätte. Oder wenn ich darauf bestanden hätte, schon vor vierzehn Tagen nach London zurückzukehren.«
»Mr Taylor … wissen Sie noch, was sie zu mir sagten, als meine Mutter starb?«
»Nein.«
»Ich war sicher, wenn ich ihr eine bessere Tochter gewesen wäre oder wenn ich mehr gebetet oder sie nicht verleitet hätte, sich im Garten zu überanstrengen, wäre sie am Leben geblieben.«
Er zuckte die Achseln
»Aber Sie haben mir damals gesagt, dass Gott nicht so ist. Erinnern Sie sich?«
»Und ich glaube, Sie sagten mir, ich solle öfter im Alten Testament lesen.«
»Daran möchten Sie sich also erinnern.« Sie lächelte sanft. »Es ist nicht Ihre Schuld.«
Charlotte hatte lange gebraucht, bis sie diese Tatsache eingesehen hatte. Sie fürchtete, Daniel Taylor würde genauso langsam von
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