Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
Begriff sein.
Er holte tief Luft und straffte die Schultern. »Ich danke Ihnen noch einmal, dass Sie Anne gefunden haben. Ich weiß nicht, wie ich hätte weiterleben sollen, wenn …«
»Schhhhh … wenn ich nicht vorbeigekommen wäre, hätte jemand anders sie gefunden.«
»Das kann ich nur hoffen. Wie kam es eigentlich, dass Sie an diesem Tag da waren?«
Sie holte ebenfalls tief Luft. »Ich bin an jenem Morgen mit bösen Vorahnungen aufgewacht. Sally hatte mir zwar versichert, dass im Gasthaus alles in Ordnung war, aber ich wollte trotzdem zu ihr. Ich hätte zu Fuß gehen müssen, aber Dr. Kendall und Thomas, die auf dem Weg hierher waren, fuhren vorbei und boten an, mich mitzunehmen.«
»Und was wollten die beiden hier? Ich habe sie damals gar nicht gefragt und nachher habe ich es einfach vergessen.«
»Dr. Kendall wollte Thomas herfahren mit der Absicht, Sie beide zu überzeugen, dass Thomas bei ihm famulieren sollte. Doch nachdem er an jenem Tag gesehen hatte, wie treu ergeben Thomas Ihnen ist, hat er, glaube ich, seinen Plan aufgegeben.«
»Ja. Der Junge kann hier bei mir bleiben, so lange er möchte.«
Die beiden saßen noch ein paar Minuten schweigend beisammen. Schließlich sagte Daniel: »Ich kehre bald nach London zurück. Sie können natürlich hierbleiben, solange Sie wollen. Das heißt, wenn Kendall nicht … wenn Sie keine anderen Abmachungen getroffen haben.«
»Ich habe andere Abmachungen getroffen.«
»Ich verstehe.« Er stand abrupt auf. »Das geht mich selbstverständlich nichts an.«
»Meine Abmachungen haben nichts mit Dr. Kendall zu tun«, sagte sie.
»Nein?«
»Ich habe eine Stellung bei einer Familie in Shoreham angenommen.«
»Darf ich fragen, was das für eine Stellung ist?«
»Als Amme.«
»Oh … ich wusste nicht, dass Sie weiter als Amme arbeiten wollen.«
»Das wollte ich auch nicht. Aber sie brauchten eine und ich war da. Es ist nur vorübergehend.«
Georgiana Henshaw ging es bereits viel besser; sie würde ihren Sohn bald selbst stillen können. Sie hatte bereits angefangen, ihn ein- oder zweimal die Woche anzulegen, soweit ihre Gesundheit es zuließ. Im Moment musste noch überwiegend Charlotte den Kleinen stillen, was sich jedoch bald ändern würde. Mrs Henshaw hatte ihr zwar versichert, dass sie bleiben könne, solange sie wolle, aber Charlotte bezweifelte, dass Mr Henshaw dem großzügigen Angebot zustimmen würde.
»Und danach?«
Sie zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich gehe ich zurück nach Crawley, wie ich es eigentlich vorhatte.«
Doch am nächsten Morgen erhielt Sally einen Brief, der Charlottes Pläne abermals umwarf.
Charlotte war gekommen, um mit Sally zusammen zu frühstücken. Insgeheim hatte sie sich jedoch nur überzeugen wollen, dass mit Mr Taylor alles in Ordnung war. Sie saßen noch am Tisch, als Mrs Beebe mit der Post hereinkam. »Ein Brief für Sie, Sally.«
Sally nahm den Brief und betrachtete überrascht den Absender. Sie war ganz und gar nicht so erfreut, wie Charlotte erwartet hatte.
Dr. Taylor kam ebenfalls ins Zimmer; er wollte eine Tasse Tee trinken. Sally riss den Brief auf und las ihn, so schnell ihre Lesekünste es zuließen. Nach einem Augenblick legte sie die Hand auf den Tisch, als müsse sie sich abstützen.
Charlotte fragte alarmiert: »Sally, was ist denn?«
»Es ist Dickie. Sie sagt, er sei sehr krank. Ich muss sofort zu ihm.«
»Lesen Sie weiter«, befahl Dr. Taylor. »Was schreibt sie noch?«
»Er ist sehr schwach, hat hohes Fieber, trinkt nicht … Sie befürchtet das Schlimmste. Und der Brief ist schon mehrere Tage alt! Dr. Taylor, bitte, helfen Sie ihm. Sie kommen doch mit? Bitte!«
Er zögerte einen Augenblick und Charlotte fürchtete schon, dass er gekränkt war durch Sallys unverblümte Aufforderung, alles stehen und liegen zu lassen und einem Kind zu Hilfe zu eilen, das er kaum kannte, oder dass er sich in seinem augenblicklichen Zustand außerstande sah, überhaupt jemandem zu helfen.
Stattdessen setzte er seine Tasse ab. »Wir fahren gleich los.«
In dem daran anschließenden Wirbel von Beratungen und hastig gefassten Plänen erklärte Charlotte sich bereit, noch einige Tage in Lloyd Lodge zu bleiben, um Anne zu stillen. Sie wollte die Henshaws selbst benachrichtigen. Marie würde mit Sally und Dr. Taylor zurückkehren und das Haus in London vorbereiten, das nach der langen Abwesenheit, als nur John Taylor es bewohnte, eine gründliche Reinigung zweifellos nötig hatte. Charlotte würde lange genug in
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