Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
Liebe.«
»Gute Nacht.«
Sie setzte sich wieder auf den Stuhl, der der Tür am nächsten stand.
Eine ganze Zeit später schreckte sie plötzlich aus leichtem Schlummer auf. Durch die Wohnzimmerfenster drang schwaches Licht. Die Uhr zeigte halb fünf. Sie hörte vorsichtige Schritte auf der Treppe. Mit jedem Schritt schien der Trommelwirbel in ihrer Brust lauter zu werden. Sie stand auf und ging zur Tür, die Hand aufs Herz gelegt in dem Versuch, ihre aufgewühlten Nerven zu beruhigen.
Daniel, müde und erschöpft, kam die Treppe herauf und lockerte eben seine Krawatte. Als er aufblickte und sie sah, zögerte er. »Oh! Verzeihen Sie mir. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie schon so früh auf sind. Ich brauche nur ein sauberes Hemd, dann gehe ich gleich wieder.« Er schwieg kurz. »Sie haben doch wohl nicht die ganze Nacht hier gesessen?«
Sie berührte verlegen ihr Haar. »Als Sie nicht zurückkamen, habe ich Angst bekommen.«
Daniel verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos, die Augen hielt er abgewandt. »Gibt es etwas, das Sie mir sagen möchten?«
»Daniel«, begann sie sanft und trat näher zu ihm, »wenn Sie mich meiden, weil Sie glauben, dass ich Mr Harris heiraten werde, sind Sie im Irrtum. Ich will ihn nicht heiraten.« Wie konnte sie auch, wo sie doch Daniel – und Anne – von ganzem Herzen liebte?
Daniel stand wie erstarrt, ebenso fassungslos, wie Mr Harris es bei ihrer Ablehnung gewesen war. Doch obwohl Charles sehr enttäuscht war, hatte er ihr alles Glück der Erde gewünscht und sie waren als Freunde auseinandergegangen.
Daniel runzelte die Stirn. »Aber … Edmund …«
»Ich weiß.« Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder. »Aber es geht nicht anders. Ich kann nicht euch beide haben, ihn und dich.« Sie lächelte zaghaft. »Und ich will dich.«
Als Daniel nicht antwortete, streckte sie die Hand aus, fasste nach einem Knopf an seinem Jackett und zog sanft daran. Er stieß einen langen, krampfhaften Seufzer aus, der wie ein Schluchzer klang. »Charlotte … bist du ganz sicher?«
Sie nickte.
Verwundert schüttelte er den Kopf, streckte die Arme aus, nahm ihr Gesicht vorsichtig in seine schmalen, sensiblen Hände und beugte sich zu ihr hinunter. Seine blaugrünen Augen hinter den Brillengläsern waren weit geöffnet. Er flüsterte: »Ich kann es kaum glauben.«
Sie hielt seinem Blick stand und sagte nur: » Glaub es .«
Einen Augenblick lang verschmolz sein Blick mit dem ihren, dann neigte er sich tiefer über sie. Ein Vorhang aus goldenen Wimpern schloss sich vor seinen Augen und er küsste sie sanft. Dann leidenschaftlicher. Und noch einmal.
Sie heirateten schon vierzehn Tage später mit einer Sondererlaubnis. Natürlich nahm Daniels Vater an der Feier teil, stolz und glücklich, mit Mrs Krebs an seiner Seite. Auch Tante und Onkel Tilney waren anwesend, ebenso wie Thomas und Sally, die die ganze Feier über strahlte und weinte.
Reverend Lamb war nicht gekommen, obwohl sie ihn eingeladen hatten, und auch Beatrice war nicht unter den Gästen. Charlotte bedauerte ihre Abwesenheit, aber nicht sehr. Sie war vollauf damit beschäftigt, die Glückseligkeit und die Leidenschaft der Hochzeit und des Ehelebens auszukosten.
Was sie jedoch bedauerte, war, dass es auch später nicht zu einer Aussöhnung mit ihrem Vater kam. Der Reverend starb, kurz nachdem Charlotte und Daniel nach Doddington übergesiedelt waren, ohne je das leiseste Entgegenkommen gezeigt zu haben. Ein leutseliger neuer Pfarrer nahm seinen Platz ein und hieß Charlotte freundlich in der Kirche ihrer Kindheit willkommen.
Auch zu Bea hatte sie keinen Kontakt. Durch Mr Harris erfuhr Charlotte, dass sie einen sehr viel älteren Marineoffizier geheiratet hatte und in London lebte. Zum ersten Weihnachtsfest schickte sie eine kurze Notiz, der sie die Schmetterlingsbrosche ihrer Mutter beilegte. Charlotte schrieb einen Dankesbrief. Ihre weiteren Briefe blieben unbeantwortet.
Charles Harris heiratete nicht wieder. Seine Mutter, Mrs Harris, zog Edmund groß und schenkte ihm ein gesundes Maß warmer, mütterlicher Fürsorge. Edmund verbrachte viel Zeit bei seiner Großmutter in Doddington, sodass Charlotte ihm bei den Dorffesten begegnete oder manchmal auch, wenn Daniel wegen einer Kinderkrankheit oder etwas anderem zu ihm gerufen wurde.
Edmund hatte hin und wieder mit Anne gespielt, als sie beide noch klein waren. Er schien Daniel und Charlotte sehr zugetan und hielt sich gern bei ihnen
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