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Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Titel: Die Lady von Milkweed Manor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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einmal verwirrt. Die Schreie klangen immer noch sehr entfernt. Hatte das zugige alte Haus ihren Ohren, ja ihrem Verstand einen Streich gespielt? Der Schrei schwoll wieder an, diesmal etwas näher, aber immer noch nur gedämpft zu hören. Sie versuchte eine der Türen zu öffnen, die tatsächlich nachgab, aber nur in eine kleine Putzkammer führte. Sie probierte eine andere Tür, hinter der sich jedoch lediglich ein leeres Zimmer verbarg. Warum hatte man ihr nicht dieses Zimmer angeboten? Sie leuchtete weiter in das Zimmer hinein und sah, dass es weder einen Kamin noch ein Bett enthielt, nur ein paar alte Stühle und einen Schrank. Ohne die Tür wieder richtig zu schließen, probierte sie noch die letzte Tür aus – einen schmalen, schmucklosen Durchlass, hinter dem sich wahrscheinlich nur die Tür eines Wäscheschranks verbarg.
    Sie hob den Riegel an und die Tür sprang mit überraschender Geschwindigkeit auf. Charlotte schnappte nach Luft, beinahe hätte sie ihre Kerze fallen lassen. Sie legte die Hand schützend um die Flamme und so gelang es ihr, sie vor dem Auslöschen zu bewahren. Sie blickte in den Raum hinein. Es war kein Schrank. Sie sah eine zweite Treppe – eine sehr schmale diesmal, woraus sie schloss, dass sie ursprünglich für die Dienerschaft gedacht war. Ein Diener konnte unauffällig im Flur verschwinden und wieder erscheinen, mit Kohlen für die oberen Schlafräume oder mit den Nachttöpfen und dergleichen, die er aus den Zimmern herunterbrachte.
    Plötzlich hörte sie es wieder – den Schrei, der die Treppe herunterzüngelte und dessen Nähe und brutale Wildheit ihr durch Mark und Bein ging. Soweit sie wusste, waren die Mädchen alle auf diesem Stockwerk untergebracht. Die oberen Stockwerke waren schwieriger zu heizen und das Haus besaß nicht genügend Personal, um alle Räumlichkeiten in Ordnung zu halten. Sie hatte gehört, wie Gibbs sich darüber beklagt hatte, dass sie einen Korb mit Wäsche von oben heruntertragen musste, und daraus geschlossen, dass einige der oberen Räume möbliert sein mussten. Andere hingegen schienen nur als Lager zu dienen. Dr. Taylor bewohnte offenbar eines der oberen Zimmer, wenn er Nachtdienst hatte.
    Als sie hörte, wie sich oben eine Tür öffnete, wich sie, die Hand aufs Herz gepresst, rasch vom Eingang zurück. Wer es auch war, der da kam, er näherte sich schnell. Sie wusste, dass sie es nicht mehr zurück in ihr Zimmer schaffen würde. Rasch schlüpfte sie in den leeren Raum, den sie eben erst entdeckt hatte, stellte ihren Leuchter in einer Ecke auf den Boden und hoffte, ihr Körper möge die kleine Flamme abschirmen.
    Die Schritte waren unten auf dem Treppenabsatz angelangt und kamen jetzt den Flur entlang. Charlotte hielt den Atem an. Trotz des Lichts der Kerze, die die Person trug, blieb die Gestalt im Schatten. Charlotte spähte durch den Türspalt und erkannte die Umrisse eines Mannes. Der vertraute Geruch von Desinfektionsmitteln und Kräutern bestätigten ihr die Identität des Mannes, noch bevor sie seine Gestalt erkannte. Dr. Taylor. Eigentlich war es keine Überraschung. Er machte ja kein Geheimnis daraus, dass er oben schlief. Warum hatte sie dann aber solche Angst?
    Die Schritte verklangen und sie war wieder allein. Mit klopfendem Herzen stand sie da und versuchte, ihren Atem zur Ruhe zu bringen. Wie lange würde es wohl dauern, bis er zurückkam? Würde sie Zeit haben, in ihr Zimmer zurückzuschleichen, bevor er erledigt hatte, was auch immer ihn so spät nachts aus seinem Zimmer gerufen hatte? Sie war sich nicht sicher, ob sie in ihr Zimmer zurückkehren wollte, ohne in Erfahrung gebracht zu haben, wer da so furchtbar schrie, aber sie wusste auch nicht, ob sie es wirklich wissen wollte. War sie mutig genug, allein die dunkle Stiege hinaufzusteigen? Sie nahm ihre Kerze, trat wieder auf den Gang hinaus und lauschte. Stille. Selbst überrascht über sich, holte sie plötzlich tief Luft, öffnete die Tür, die zu dem geheimen Treppenaufgang führte, und schloss sie wieder hinter sich, sodass das Dunkel sie vollständig verschluckte.
    Oben auf dem Treppenabsatz angekommen, blieb sie abermals stehen und lauschte. Sie hörte – ja, was hörte sie eigentlich? Ein Schluchzen? Ja, da weinte eine Frau. Die gleiche Frau, die geschrien hatte? Oder eine andere? Wie viele Leute hielten sich wohl hier oben auf? Und warum? Langsam öffnete Charlotte die Tür und hob die Kerze hoch, sodass das Licht in den Raum dahinter fiel. Sie sah in einen langen, schmalen

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