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Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Titel: Die Lady von Milkweed Manor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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»aber ich bin kein Arzt, vergessen Sie das nicht.«
    »Ich habe nie eine fähigere Hebamme gekannt.«
    »Das ist schon ein paar Jährchen her, Dr. Taylor.«
    »Ich bin sicher, Sie wissen noch, worauf es ankommt.«
    »Das denke ich auch.«
    Zu Charlotte sagte er: »Wenn sie etwas Ungewöhnliches findet, muss ich Sie selbst untersuchen, aber wenn nicht, warten wir noch einen oder zwei Tage ab, ob die Blutung von selbst aufhört. Einverstanden?«
    »Ja. Vielen Dank.«
    Er verließ das Zimmer und Charlotte fragte sich, wer von ihnen beiden wohl erleichterter war.
    Mrs Krebs konnte nichts weiter finden und half Charlotte, die Knöpfe zu schließen, die sie nicht erreichen konnte. »Dr. Taylor muss Gefallen an Ihnen gefunden haben, Miss«, sagte sie.
    »Nein! Nichts dergleichen. Es ist nur, ich … meine Familie kennt ihn. Das heißt, als ich noch klein war. Es ist ein bisschen peinlich, das ist alles.«
    Mrs Krebs schnalzte ungläubig mit der Zunge und meinte dann: »Wenn Sie es sagen, Miss.« Dann verließ sie den Raum. Charlotte wusste, dass sie ihr kein Wort glaubte.

9
    Unsere Seidenblume ist äußerst zäh. Ihre Wurzeln liegen sehr tief,
als verstecke sie sich vor dem Pflug.
    John Burroughs
    Charlotte legte noch ein paar Kohlen nach, wusch sich über der Waschschüssel Gesicht und Hände, putzte sich die Zähne und ging zu Bett. Sie vergewisserte sich, dass der Kerzenleuchter in Reichweite auf dem Nachttisch stand, sodass sie ihn mit einem Griff erreichen konnte. Dann zog sie die raue Decke bis unter das Kinn hoch und wartete, dass der Schlaf – oder ein Schrei – kam.
    Der Schlaf musste zuerst gekommen sein, denn als der Schrei ertönte, wachte Charlotte abrupt auf und hatte ihr Vorhaben für einen Augenblick ganz vergessen. Doch dann stand sie leise auf, um Mae, die neben ihr schlief, nicht zu wecken, und warf sich den Morgenrock über. Sie trat mit der Kerze an den Kamin, nahm ein Streichholz aus der Büchse, hielt es ins Feuer und entzündete damit die Kerze. Dann schlich sie auf Zehenspitzen zur Tür, trat hinaus und schloss die Tür behutsam hinter sich. Draußen lauschte sie erst einmal. Als alles still blieb, hob sie die Kerze etwas höher, dankbar für das bisschen Licht, und hoffte, dass es ihre Furcht mindern und ihre blank liegenden Nerven beruhigen würde.
    Wieder war der Schrei zu hören und ihr Magen krampfte sich zusammen.
    Langsam tappte sie den dunklen Flur entlang. Das Kerzenlicht flackerte unruhig vor den grauen Wänden, der Steinboden unter ihren bestrumpften Füßen war kalt. Die kühle Nachtluft drang durch ihre Strümpfe, ihr Nachthemd und ihren Morgenmantel, doch das Zittern, das ihre Zähne zusammenschlagen ließ, hatte nichts mit der Kälte zu tun – es kam von dem Schrei. Es war ein schauerlicher Laut. Charlotte lebte inzwischen lange genug im Heim, um alle möglichen Arten von Schreien, Keuch- und Stöhnlauten der Frauen, die in den Wehen lagen, gehört zu haben. Es waren stets ausgesprochen irdische, aus Anstrengung gepaart mit wilder Entschlossenheit herrührende Schreie gewesen – schrecklich anzuhören, aber doch zu ertragen, weil irgendwann süße Erleichterung darauf folgte, begleitet – so Gott wollte – vom antwortenden Schrei eines Neugeborenen, das nun da war und alle Erinnerung an Schmerzen und Kampf auslöschte.
    Diesem besonderen Schrei jedoch folgte keine Erleichterung, keine Antwort eines neuen Lebens. Er schwoll nicht an und ab mit der Regelmäßigkeit der Wehen – diese Wehenschmerzen stiegen an, erreichten einen Höhepunkt und ebbten wieder ab. Die Schreie jedoch, die Charlotte jetzt vernahm, wurden gleichsam erstickt, sie schwiegen stunden-, ja tagelang, um dann plötzlich in schriller Verzweiflung, manchmal auch in Wut oder in schmerzlicher Qual hervorzubrechen und einige Minuten später wieder zu ersterben. Es gab kein allmähliches Schwächerwerden, man hatte nie den Eindruck, dass die Schreie irgendetwas bewirkt oder hervorgebracht hätten. Es waren Schreie, die Charlotte zu fürchten gelernt hatte, die ihr Gänsehaut verursachten und ihre Seele in schwarze Furcht tauchten. Und beides wollte sie nun ein für alle Mal loswerden.
    Sie ging weiter den Gang hinunter, in die den Gemeinschaftsräumen und der Säuglingsstation entgegengesetzte Richtung. Sie wusste, dass die Treppe zu den oberen Stockwerken sich in der Mitte des Hauses befand und in beide Flügel führte. Deshalb war sie, als der Flur plötzlich einfach zu Ende war und sie vor einer Wand stand, erst

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