Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie es nicht wussten.«
»Wie auch immer«, warf der Schnurrbärtige wehmütig ein, »diese Miss Lamb war nicht allein mit ihrer Hoffnung, den begehrtesten Junggesellen in ganz Kent erobern zu können. Meine Nellie sprach mit großer Hochachtung von Euch.«
William ignorierte den Mann, seinen Blick mit den halbgeschlossenen Lidern fest auf seinen Onkel gerichtet. »Miss Lamb hatte seit Jahren ein Auge auf Sie geworfen«, beharrte er.
»Das glaube ich nicht. Ich war lediglich ein Freund der Familie.«
William schnaubte. »Miss Beatrice hoffte auf mehr als Freundschaft, das können Sie mir glauben.«
»Beatrice?«
»Sie bellen den falschen Baum an, junger Mann«, unterbrach ihn Mr Milton. »Ihr Onkel war stets wie ein älterer Bruder für die Lamb-Mädchen und hegte nichts als fürsorgliche Gefühle für sie. Wecken Sie nicht seinen Zorn, indem sie schlecht über eine von ihnen reden. Vor allem jetzt, da er mit einer Cousine von ihnen verheiratet ist.«
»Mit einer sehr wohlhabenden Cousine übrigens«, sagte der Schnurrbärtige und zog vielsagend die Augenbrauen hoch.
»Und wie gefällt Ihnen das Stadthaus Ihrer Frau am Manchester Square?«, lenkte Mr Milton das Gespräch auf unverfänglichere Themen.
»Sehr gut.«
»Und das Leben in London, sagt es Ihnen zu?«
»Es ist fraglos unvergleichlich viel angenehmer als das in Kent.«
Das Gespräch lenkte sich in andere Bahnen. Daniel erinnerte sich noch gut daran, wie er Charles Harris das erste Mal gesehen hatte – und daran, wie Charlotte den Mann angeblickt hatte. Sie hatten wie so oft im Garten des Pfarrhauses gestanden, als Charles aufgetaucht war. Er ritt einen großrahmigen Rappen. Die Schöße seines Paletots schimmerten um die Wette mit den ebenholzschwarzen Flanken des Tieres. Doch Daniels Aufmerksamkeit wurde sehr schnell von dem schimmernden Pferd auf den nicht weniger strahlenden Ausdruck in den Augen der jungen Charlotte Lamb gelenkt. Und während er von dem Pferd zu dem Mädchen und von dem Mädchen zu dem Mann sah, wurde ihm klar, dass sie nicht wie er das bildschöne Tier bewunderte, sondern den Mann, der es ritt. Sie war wie verzaubert von ihm, ihre Augen, die eigentlich immer fröhlich dreinsahen, hatten plötzlich einen unirdischen Glanz, als erblicke sie einen Weihnachtsbaum in strahlendem Kerzenlicht. Oder den ersten Schnee. Oder … gestand er sich widerwillig ein, einen ausnehmend gut aussehenden Mann.
»Wer ist das?«, fragte er sie.
Sie lachte leise und überrascht auf, als amüsiere es sie, dass es tatsächlich einen Menschen gab, der nicht wusste, wer dieser Mann war.
»Das ist Mr Harris. Unser Nachbar.«
»Und wo ist Mrs Harris?«, fragte er leicht gereizt.
»Mrs Harris? Es gibt keine Mrs Harris. Es sei denn, Sie meinen seine Mutter.«
Der Mann ritt näher heran. Er schien sein nervöses Pferd fest im Griff zu haben, jedenfalls lieferte er eine beeindruckende Darbietung aus wirbelnden Hufen und reiterlichem Können. »Hallo, Charlotte. Sie sehen wie immer bezaubernd aus. Ist Ihr Vater in der Nähe?«
»In der Kirche.«
»Und Bea?«
»Nicht in der Kirche.«
Er lächelte wissend und Daniel fragte sich, was dieser kleine Wortwechsel wohl zu bedeuten hatte. War etwas zwischen Charlottes Schwester und diesem verwegenen Nachbarn – obwohl er so viel älter wirkte?
Harris berührte kurz die Krempe seines Hutes, gab seinem Pferd die Sporen und jagte davon in Richtung Kirche. Er hatte Daniel kaum beachtet.
»Er ist ein bisschen alt für Ihre Schwester, meinen Sie nicht?«
»Ja, er ist viel zu alt für Bea. Aber nicht für mich.«
»Aber – sie ist doch älter als Sie!«
»Ach, ich mache doch nur Spaß, Mr Taylor. Verzeihen Sie mir. Ich habe diesen Ton von Mr Harris gelernt und fürchte, er ist mir zur zweiten Natur geworden.«
»Sie verbringen also viel Zeit mit ihm?«
»Nein. Immer nur wenig Zeit, aber das bereits seit vielen Jahren.«
»Ist Ihr Vater damit einverstanden?«
»Mit Mr Harris? Absolut. Für ihn ist er der Sohn, den er nie hatte.«
»Und Ihre Schwester?«
»Bea ist schon lange völlig hingerissen von ihm.«
»Und Sie?«
Sie zuckte die Achseln. »Sie würde das Gleiche von mir sagen.«
»Und wäre es wahr?«
»Oh, Mr Taylor«, beschwichtigte sie ihn und legte leicht die Hand auf seinen Arm. »Wir sind allesamt hingerissen von ihm – angefangen von Vater bis hin zur Köchin. Wer könnte sich auch seinem Charme entziehen? Aber wir erwarten nicht, dass sich etwas
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