Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
hörte sie die Stimmen von Dr. Preston und Dr. Taylor, die sich anschrien, und dazwischen Mrs Moorlings leise, mahnende Einwürfe. Und dann erklang wieder die andere Stimme, das hohe, klagende Weinen, das Charlotte schon kannte. Das Schluchzen und Schreien schien verzweifelter denn je und die Lautstärke und die Panik darin schienen sich von Sekunde zu Sekunde zu steigern.
Charlotte stieß die Tür auf und spähte vorsichtig in den Flur. Die Fenster hier oben hatten keine Läden, es war hell, sie konnte alles erkennen. Sie hörte ganz deutlich, wie Dr. Taylor rief: »Um Himmels willen, Preston! Sie haben sie beinahe zu Tode erschreckt.«
»Ich versuche nur zu tun, wozu Sie nicht den Mumm haben.«
»Ja, und jetzt sehen Sie ja, was Sie angerichtet haben.«
»Ich bin noch nicht fertig.
»Oh doch, das sind Sie.«
Das fiebrige Wehklagen hob wieder an und Dr. Taylor bellte: »Raus hier, Preston! Sofort!«
»Wie Sie wollen. Moorling, kommen Sie.«
Preston marschierte wütend den Gang hinunter Richtung Haupttreppe, Mrs Moorling folgte ihm zögernd. Charlotte sah, dass sie sich mehrmals umblickte.
Dr. Taylors Stimme rief ihr nach: »Mrs Moorling, bitte reichen Sie mir den Schwamm.«
»Mrs Moorling, Sie kommen mit mir«, beharrte Preston. »Sie haben in diesem Zimmer nichts mehr zu suchen.«
Charlotte sah überrascht, dass Mrs Moorling dem Mann gehorchte. Die beiden verschwanden um die Ecke. Charlotte war klar, dass sie die Haupttreppe mit der Absperrung hinuntergehen mussten.
»Mrs Moorling!« Dr. Taylors Stimme hatte eine neue Dringlichkeit angenommen. »Ich brauche Sie hier!«
Das Klagen schlug in kurze, schrille Schreie und Flüche um und Charlotte hörte die unmissverständlichen Geräusche eines Kampfes.
»Ich brauche Hilfe!«
Dr. Taylors Bitte zog Charlotte magisch nach vorn. Obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug, lief sie, so schnell ihre Füße sie tragen wollten, zu der offenen Tür. Sie spähte in das Zimmer und schlug entsetzt die Hand vor den Mund. Schauer liefen ihr über den Rücken. Dr. Taylor drückte eine halb angezogene Frau mit wirren Haaren gegen die Wand. In der einen Hand, die sie hoch über ihren Kopf erhoben hatte, hielt die Frau ein Skalpell wie die, die Charlotte auf dem Tablett von Mrs Moorling gesehen hatte. Dr. Taylor hatte mit seiner einen Hand ihr Handgelenk gepackt, mit der anderen versuchte er die Frau zu bändigen, die wild kämpfte, um freizukommen. Die Frau bemerkte Charlotte flüchtig, und fluchte in französischer Sprache.
Dr. Taylor musste ihre Schritte gehört haben, denn er keuchte, ohne sich umdrehen zu können: »Den Opiumschwamm auf dem Flurtisch, schnell!«
Charlotte drehte sich um und sah den Schwamm, der in einer Schale lag. Sie nahm ihn vorsichtig auf und eilte zurück ins Zimmer, eine Spur aus Wassertropfen und allen möglichen geheimnisvollen Ingredienzien hinter sich herziehend. Sie schluckte schwer, voller Angst davor, was Dr. Taylor sagen würde, wenn er sie erkannte. Er presste den Körper der Frau mit seiner Schulter gegen die Wand und streckte unbeholfen die Hand nach ihr aus, um den Schwamm entgegenzunehmen.
Charlotte trat näher und legte ihn auf seine wartende Handfläche. In dem Augenblick, in dem sie in sein Blickfeld geriet und er sie sah, blitzten seine Augen auf in – ja, in was? Zorn? Überraschung? Scham? Sie wusste es nicht. Charlotte blickte rasch auf die Frau. Obwohl ihr das dunkle Haar ins Gesicht fiel, war ihr wütender Ausdruck nicht zu verkennen.
Die Frau begann, sie anzuschreien, die Lippen verzerrt vor Verachtung. Die Obsidian-Augen sprühten Funken. Charlottes Französischkenntnisse reichten nicht aus, um die Schimpfwörter zu verstehen, die die Rasende ausspie – Verwünschungen, die plötzlich abbrachen, als Dr. Taylor ihr den Schwamm auf Mund und Nase drückte. Charlotte ging langsam rückwärts und sah, wie die Frau vergeblich versuchte, ihr Gesicht wegzudrehen. Als sie an der Tür war, wirkte die Betäubung; der Körper der Frau erschlaffte und sank gegen Dr. Taylor. Er hob sie auf und legte sie auf das Bett, das im Zimmer stand. Erst jetzt sah Charlotte, dass die Frau schwanger war.
Dr. Taylor blickte sich nach Charlotte um, die noch in der Tür stand. »Sie sollten nicht hier sein, das wissen Sie.«
Sie nickte. »Ich weiß.«
Sie verharrte noch ein paar Sekunden. Er bot ihr keine Erklärung an und sie fragte auch nicht.
Behutsam deckte er die Frau zu und murmelte dabei vor sich hin: »Dieser verdammte Preston. Ich
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