Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
helfen? Sie hatte ihr ja schon einen Ort angeboten, an dem sie wohnen konnte, und ein Jahr lang konnte sie Edmund mindestens stillen. Aber was dann? Wie sollte sie ihm etwas zu essen kaufen, ganz zu schweigen von all den anderen Dingen, die er brauchte? Würde ihr Onkel erlauben, dass ihre Tante sie gegen das ausdrückliche Verbot ihres Vaters unterstützte? Sehr unwahrscheinlich. Und wie sollte sie überhaupt Arbeit finden mit einem Kind, das sie alle paar Stunden stillen musste? Ihr naiver Ausspruch Mae gegenüber fiel ihr ein: » Ich würde mein Kind niemals einer Fremden zum Stillen überlassen …« Und jetzt lag sie da und wollte genau das tun. Ich muss verrückt sein . Sie schauderte.
Dr. Taylor räusperte sich. »Miss Lamb, vielleicht kann ich ja etwas für Sie tun. Ich habe kein großes Einkommen, aber ich finde sicher einen Weg, um Ihnen in dieser Notlage beizustehen.«
Dr. Taylor hatte ganz offensichtlich keine Vorstellung davon, wie unschicklich sein Angebot war, sein Vorschlag erfolgte in bester Absicht.
»Ich danke Ihnen, Mr Taylor, aber Sie haben eine Frau und selbst ein Kind, an das Sie denken müssen.«
Charlotte blickte in Edmunds kleines Gesicht, das ihr so teuer geworden war. Wieder wurde sie von Schluchzen übermannt. »Muss ich es wirklich jetzt gleich entscheiden? Ich kann nicht. Ich kann nicht.«
Sie hielt ihren winzigen Sohn dicht an sich gepresst und blickte zu den Männern auf. »Könnten Sie mich bitte einen Augenblick allein lassen? Ich kann nicht denken, wenn Sie mich beide anstarren.«
Charles sah auf seine Taschenuhr. »Aber …«
»Selbstverständlich«, fuhr Daniel ihm über den Mund. Er führte den anderen Mann aus dem Zimmer. »Wir sind gleich zurück.«
Als die Tür sich hinter den beiden schloss, stand Charlotte auf. Sie legte eine Hand auf Edmund, damit er nicht aus dem Bett fiel, und kniete vor dem Bett nieder. Tränen liefen ihr über das Gesicht und fielen auf die Decke, die sie gestickt hatte. Sie sah ihren kleinen Sohn an . Ich kann es nicht tun, Herr, ich kann es einfach nicht. Als ich zu dir betete und dich bat, mir einen Weg zu zeigen, wie ich für ihn sorgen kann, habe ich nicht an so etwas gedacht! Es ist zu schwer. Zu grausam. Wäre es überhaupt richtig? Wäre es der Ausweg, den du willst? Wenn ja, dann wirst du mir helfen müssen. Ich kann es allein nicht …
Ihre Gebete verwandelten sich in Gedanken an ihren Sohn und sie flüsterte unter Tränen: »Oh mein Kleiner, du wirst dich nie an mich erinnern. Aber ich werde immer an dich denken. Ich werde dich immer lieb haben. Denk nie, niemals, dass ich dich nicht liebe … oder nicht haben will. Oh mein Gott, es ist zu schwer …«
Charlotte Lamb legte ihren Kopf neben ihren Sohn auf das Bett und weinte haltlos in dem Wissen, dass sie etwas tun musste, was über ihre Kräfte ging.
15
Die Seidenblumensamen brechen auf.
Seidige Daunen
schweben im Herbstwind
über braune Täler.
Cecil Cavendish, The Milkweed
Am folgenden Abend fuhr Daniel nach Doddington. Er ließ seine Kutsche auf der Straße warten und betrat den Friedhof. Der Abend brach bereits herein. Unter einer Eibe neben der Friedhofsmauer hoben zwei Männer ein frisches Grab aus.
Er trat zu ihnen und sagte: »Ich suche Ben Higgins.«
Der Jüngere der beiden sah zu ihm auf, ohne in seiner Arbeit innezuhalten.
»Sie haben ihn gefunden. Aber man nennt mich Digger.«
Nicht sehr originell , dachte Daniel grimmig. »Kann ich Sie sprechen?«
Digger richtete sich auf. »Eigentlich hab ich zu tun, Mister. Was wollen Sie denn?«
Daniel antwortete nicht. Schließlich legte der junge Mann seine Schaufel beiseite und kletterte aus dem Loch. Er kam zu Daniel herüber, nahm im Gehen seinen Schlapphut ab und entblößte einen dichten braunen Schopf, der dringend einen Haarschnitt benötigte.
»Sie sind der Junge vom Doktor«, sagte Digger. »Oder eigentlich der Lehrling.«
»Ja, das war ich.« Daniel ging zurück zur Kutsche; er hatte das Pferd an einem Pfosten angebunden. Digger folgte ihm.
»Hab Sie hier nicht mehr gesehn, seit ich ein Junge war.«
»Ich bin froh, dass Sie sich an mich erinnern.«
»Und warum?«
Daniel drehte sich zur Kutsche um. In ihrem Innern, auf dem Boden, stand eine Holzkiste. Digger folgte seinem Blick. Die Augen des jungen Mannes bekamen einen wachsamen Ausdruck. Er presste die Lippen zusammen.
»Wenn es das ist, was ich denke, dann fahren Sie am besten gleich wieder zurück. Ich würde meinen Job verlieren, wenn man mich
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