Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
viel Zeit, Charlotte. Wenn ich Edmund jetzt mit nach Hause nehme, oder zumindest in den nächsten Stunden, bevor Katherine aufwacht, kann ich sie leicht davon überzeugen, dass der Kleine ihr eigenes Kind ist, gesund und wohlbehalten aus dem Krankenhaus zu ihr zurückgekehrt. Wenn wir allerdings warten und sie Verdacht schöpft, dann wird nicht nur ihre Zuneigung fraglich, ich werde auch Schwierigkeiten haben, ihm als meinem legalen Erben mein Land und meinen Besitz zu vermachen. Nein, wenn wir es tun, muss es jetzt gleich sein. Noch heute Nacht.«
»Aber wie …«
»Taylor!« Sein lauter Ruf erschreckte sie.
Dr. Taylor öffnete die Tür, hinter der er wie versprochen gewartet hatte.
»Kommen Sie herein und schließen Sie die Tür.«
Als Dr. Taylor getan hatte, wie von ihm verlangt worden war, sagte Harris mit leiser, verschwörerischer Stimme zu ihm: »Gibt es einen Grund … vorausgesetzt, Miss Lamb stimmt zu …, dass irgendjemand, wenn ich heute Nacht das Haus mit diesem Kind verlasse, annehmen könnte, es sei nicht mein eigenes Kind? Das Kind, mit dem ich hergekommen bin?«
Daniel Taylors Gesicht wurde aschfahl. Seine grimmige Miene verriet Zorn. »Dann müsste Miss Lamb fälschlich erklären, dass Ihr, Verzeihung, dass Miss Lambs Sohn gestorben ist. Und auch ich müsste lügen und bestätigen, dass ein völlig gesundes Kind, das in meiner Obhut stand, in der Nacht plötzlich starb. Der Totenschein müsste gefälscht werden und die Geburtsurkunde ebenfalls. Und dann bleibt noch das Problem mit dem Accoucheur und der Pflegerin, die den Zustand Ihres Sohnes kannten. Doch außer diesen wenigen geringfügigen Unannehmlichkeiten« … sein Ton wurde ätzend … »sehe ich nichts, was dagegen spräche.«
Mr Harris ignorierte Taylors Sarkasmus. »Der Accoucheur wird so erleichtert sein, dass das Kind seiner Patientin lebt und sein Ruf keinen Schaden nimmt, dass er ganz bestimmt keinen Alarm schlägt. Wie Sie wissen, lebte mein armes Kind ja noch, wenn auch nur schwach, als er das Haus verließ.«
»Und warum sollte ich für Sie lügen und meinen Ruf und meine Karriere aufs Spiel setzen?«
»Sie würden es nicht für mich tun«, sagte Mr Harris, »sondern für Charlotte. Sie würden alles tun, was in Ihrer Macht steht, um ihr zu helfen.«
Dr. Taylor schwieg, bestritt aber nicht, was Harris gesagt hatte. »Wenn sie es wirklich wünscht.« Er sah sie an. Die Angst und der Ekel, die in ihr aufstiegen, während sie die Einzelheiten einer Tat erörterten, die ihren Tod bedeutete, schüttelten sie.
»Wie soll ich es fertigbringen? Wie soll ich es fertigbringen, mich von ihm zu trennen?«
Mr Harris sah sie mit ernstem Blick an. »Ich werde dich nur noch ein einziges Mal darum bitten, Charlotte, und dich dann nie wieder quälen. Aber bedenke: Du weißt nicht, wie du für Edmund sorgen sollst, obgleich ich natürlich keine Zweifel daran habe, dass du es auf bewundernswerte Weise versuchen wirst. Mit Katherines Reichtum und einem Fawnwell, das, so Gott will, zu neuer Blüte gelangt, wird Edmund das Beste von allem bekommen – die besten Ärzte, die besten Lehrer, die besten Schulen. Und wenn Katherine und ich sterben, wird er unser Erbe sein. Er wird keine Not kennen.«
»Und er wird mich nie kennen.«
»Ein schrecklicher Verlust, das ist richtig, aber er wird nicht wissen, was ihm fehlt.«
»Aber ich werde wissen, was mir fehlt.«
»Ja, meine liebe Charlotte. Du wirst es wissen.«
So standen sie alle mehrere Minuten lang. Keiner von ihnen sprach. Charlotte dachte weniger an Mr Harris' Verheißungen des Überflusses, in dem ihr Kind leben würde, als an die Alternativen. Vor ihrem inneren Auge stiegen nicht die idyllischen Bilder von einem Edmund auf, der vornehm gekleidet über einen Krocketrasen tollte, sie dachte an das, was sie hier, an diesem Ort, gesehen hatte. Sie sah den braunhaarigen kleinen Jungen, um den sie sich gekümmert hatte, sterben, ohne dass jemand die Ursache wusste. Sie sah die verzweifelte junge Frau, die ihr Kind in den Findlingskasten legte, um eine Stelle als Amme betteln in der Hoffnung, ihr Kind wiederzusehen – nur um ihre kleine Tochter mit dem schwarzen Mal an der Ferse am Morgen tot wiederzufinden. Sie dachte an Frauen wie Beckys Mutter, die ihre Kinder nicht ernähren konnten, und an Becky selbst, die ihr Kind höchstwahrscheinlich verlassen und arbeiten gehen oder verhungern musste.
Aber es gab doch sicherlich noch andere Möglichkeiten. Würde Tante Tilney ihr denn nicht
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