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Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)

Titel: Die Lady von Milkweed Manor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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draußen und klangen vertraut und doch fremd. Es war ganz offensichtlich Dr. Taylors französische Frau, doch diesmal kamen ihre Schreie mit der Regelmäßigkeit von Wehen. Charlotte drehte sich im Bett um. Sie war halb wach, aber wie betäubt. Der Gedanke an ein anderes Baby war ihr in diesem Augenblick unerträglich.
    Dann hörte sie, wie die Vorsteherin Befehle rief und jemand auf den Korridor hinauseilte. Wie von einer unsichtbaren Macht gezogen, stand sie auf. Sie warf ihren Morgenrock über, zog Strümpfe an, dann öffnete sie vorsichtig die Tür und spähte hinaus. Die Lampen im Gang waren angezündet und lange Schatten tanzten an den Wänden, als verschiedene Leute an ihr vorbei die Treppe hinaufliefen.
    Gibbs kam vorüber, frische Bettwäsche auf dem Arm.
    »Gibbs, was ist passiert?«
    Die normalerweise so reservierte, tüchtige, aber kühle junge Frau war Charlotte ungewöhnlich warmherzig und mitfühlend begegnet, als sie von ihrem Verlust erfahren hatte.
    »Der Doktor hat ein kleines Mädchen bekommen«, berichtete sie jetzt sachlich. »Aber die Misses … oh, Miss Smith, sie ist völlig verändert, ich hätte sie nicht wiedererkannt. Ich muss wieder raufgehen. Schlafen Sie weiter, Miss Smith. Sie können nichts tun.«
    Natürlich konnte sie nichts tun. Trotzdem, ohne recht zu wissen, was sie eigentlich wollte, ging Charlotte zum Dienstbotenaufgang am Ende des Flurs, wie sie es in jenen anderen Nächten getan hatte, die ihr jetzt so fern erschienen. Sie bewegte sich wie eine Schlafwandelnde, ohne Kerze. Den Weg kannte sie mittlerweile gut genug. Vorsichtig stieg sie die Treppe hinauf und stieß die Tür auf.
    Hier waren die Schreie noch lauter zu hören. Sie vernahm zudem das Geräusch von Gegenständen, die offenbar geworfen wurden und zu Bruch gingen.
    Charlotte stöhnte.
    »Nieemm eeees weeg«, kreischte die Frau. Ihr Akzent machte sich deutlich bemerkbar.
    Charlotte tat ein paar zögernde Schritte in den Korridor hinein. Plötzlich trat Mrs Moorling aus dem Zimmer von Mrs Taylor heraus, ein Bündel im Arm. Hinter ihr warf jemand die Tür ins Schloss.
    Charlotte ging näher heran. Im Licht der Petroleumlampe konnte sie einen langen Kratzer auf der Wange der Hausdame erkennen. Ihr braunes Haar hatte sich aus dem Knoten, zu dem es aufgesteckt war, gelöst und hing ihr wild um das Gesicht.
    »Mrs Moorling?«
    »Charlotte!«
    »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
    »Es geht schon.«
    Hinter der geschlossenen Tür bellte Mr Taylor: »Bringen Sie mir die Zwangsjacke – schnell!«
    Mrs Moorlings von der Aufregung gerötetes Gesicht wurde noch angespannter. Sie trat einen Schritt auf Charlotte zu und warf ihr das Bündel förmlich in die Arme. Charlotte schreckte zurück und öffnete den Mund, um zu protestieren. Doch dann fiel ihr Blick auf das kleine Gesicht, das ganz eindeutig Daniel ähnelte, so wie ihr Kind seinem eigenen Vater geähnelt hatte. Hatte Gott das so eingerichtet, um den Kindern die Liebe ihrer Väter zu sichern? Sie hielt das Baby im Arm, während Mrs Moorling eilig zur Haupttreppe lief.
    Charlotte stand und starrte auf das winzige Kindchen, das sie mit weit offenen Augen ansah. Das Baby begann, an ihr zu schnüffeln, es suchte instinktiv nach einer Quelle, an der es trinken konnte. Aus Charlottes übervoller Brust begann die Milch zu fließen. Während sie noch in wachsendem Schreck auf ihren Morgenrock hinunterschaute, auf dem sich feuchte Flecken abzeichneten, kam Mrs Krebs in der Morgenhaube die Treppe herauf und schritt in der gleichen autoritativen Weise wie Mrs Moorling auf sie zu.
    »Ist mit dem Kind alles in Ordnung?«
    »Ja. Mrs Moorling hat sie mir zum Halten gegeben. Hier.« Charlotte wollte Mrs Krebs das Kind reichen, drückte es jedoch gleich wieder an sich, um die demütigenden Flecken zu verbergen.
    »Ich bin … verzeihen Sie. Ich wollte nicht …«, stammelte Charlotte. »Sie weinte und da passierte es einfach.«
    »Das ist völlig normal. Bitte, stillen Sie sie für mich. Ich wäre froh darüber, ich habe mehr als genug zu tun.«
    »Aber … ich kann nicht. Es wäre nicht richtig.«
    »Na, kommen Sie, Sie wissen doch, wie's geht.«
    »Ja, aber das ist Dr. Taylors Baby. Seine Frau könnte …«
    »Seine Frau ist im Moment eine rasende Irre, meine Liebe. Für das Kleine ist es am besten, wenn es so weit weg von ihr ist wie möglich. Kommen Sie, stillen Sie es. Sie stillen damit auch Ihr eigenes schweres Herz.«
    Charlotte sah das Mitleid und das Verständnis in den Augen der

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