Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
älteren Frau und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Wenn Sie meinen, dass es ihr nützt«, flüsterte sie.
Mrs Krebs lächelte mitfühlend und drückte Charlottes Arm. »Es wird helfen, Charlotte.«
Charlotte kehrte in ihr Zimmer zurück. Diesmal benutzte sie die besser erleuchtete Haupttreppe. Sie setzte sich in den Stuhl, öffnete ihren Morgenmantel und ihr Nachthemd und bot dem Baby die schwere Brust. Nach ein paar hilflosen Versuchen nahm das Kind die Brustwarze fest in den Mund und begann zu saugen. Charlotte weinte die ganze Zeit. Tränen und Milch strömten so schnell, dass sie das Gefühl hatte, das Leben flösse aus ihr heraus … und kehrte doch gleichzeitig wieder zurück.
Daniel Taylor tappte den Korridor entlang. Er war völlig erschöpft und verzweifelt. Seiner Frau ging es schlechter denn je. Die Entbindung hatte den Wahnsinn in geradezu schwindelnde Höhen getrieben. Oder waren es Tiefen? Sein armes Töchterchen! Würde sie je die strahlende, liebevolle Frau kennenlernen, die er geheiratet hatte?
Mrs Krebs trat aus der Säuglingsstation. Sie schloss die Tür hinter sich.
»Mrs Krebs. Haben Sie jemanden gefunden, der das Kind stillen kann?«
»Ja.«
Er wollte in die Säuglingsstation gehen.
»Sie ist nicht da drin. Ich habe Miss Smith gebeten, sie zu stillen.«
»Miss Smith? Warum um alles in der Welt ausgerechnet sie?«
»Ich habe meine Gründe.«
»Und sie war einverstanden?«
»Ja, das war sie.«
»Wo ist sie?«
»Ich sagte ihr, sie solle mit der Kleinen in ihr Zimmer gehen. Armes Lämmchen – ich habe noch nie ein so braves Kind gesehen.«
Still ging er den Weg zurück durch das Heim zu Charlottes Zimmer. Die Tür war geschlossen. Dahinter hörte er, wie Charlotte Lamb seinem Töchterchen etwas vorsang. Ihre Stimme war tränenerstickt. Sie sang kein Schlaflied. Er erkannte die zitternde Melodie eines Kirchenlieds:
»Aus tiefer Not schrei ich zu dir,
Herr Gott, erhör mein Rufen,
Dein gnädig Ohren kehr zu mir
Und meiner Bitt sie öffnen.«
»To thee in my distress, to thee,
A worm of earth, I cry;
A half-awakened child of man,
An heir of endless bliss or pain,
A sinner born to die …«
Er lehnte die Stirn gegen die glatte Holztür, um die Stimme, die Traurigkeit, ganz in sich aufzunehmen und verlöschen zu lassen … wenn er es vermochte.
Teil II
Es ist seit langer Zeit üblich, Damen der Gesellschaft auf Wunsch gegen ein geringes Entgelt bereits im Hospital eine Amme zur Verfügung zu stellen – eine Möglichkeit, von der pro Jahr häufig Gebrauch gemacht wird. In dieser Hinsicht bietet das Hospital natürlich eine große Annehmlichkeit.
T. Ryan, Queen Charlotte's Wöchnerinnen-Klinik von seiner
Gründung im Jahr 1752 bis zur Gegenwart (London 1885)
Kein Gegenstand, wie schön oder interessant er auch sein mag, erfreut mehr ihr Auge, keine Musik entzückt ihr Herz, kein Geschmack befriedigt ihren Appetit, kein Schlaf erfrischt ihre müden Glieder oder löscht ihre traurigen Gedanken aus und auch die aufmerksamste Zuwendung ihrer Freunde kann sie nicht trösten. Mit dem Verlust jeglicher Empfindung, die sie die Gegenwart ertragen lässt, haben sie keinerlei Hoffnung mehr, die die Zukunft erstrebenswert macht.
Thomas Denman, berühmter Geburtshelfer,
Beschreibung der Wochenbettpsychose, 1810
16
Bei der Auswahl einer Amme sollten sechs Gesichtspunkte berücksichtigt werden:
Herkunft und Geburt und, was die Person selbst betrifft, ihr Verhalten und ihr Verstand, ihre Milch und ihr eigenes Kind.
James Guillemeau, Childbirth Or The Happy Deliverie of Women
Einige Tage nach der Geburt der kleinen Anne Taylor wurde an die Tür von Charlottes Zimmer geklopft. Sie stand langsam vom Stuhl auf und öffnete.
»Guten Tag, Dr. Taylor.«
»Sie hätten nicht aufzustehen brauchen.«
»Es macht mir nichts aus.«
»Die meisten Ärzte setzen einen vollen Monat für die Erholung an. Aber ich nehme es als ein gutes Zeichen, dass Sie bereits aufstehen und sich ankleiden.«
Sie nickte und versuchte zu lächeln. »Sie möchten sicher Ihre Tochter holen.« Charlotte trat zur Wiege. »Hier ist sie. Mrs Krebs hat mich ausdrücklich gebeten, sie zu stillen, sonst hätte ich nicht …«
»Unsinn. Ich bin Ihnen sehr dankbar.«
»Ihre Frau, ist sie …«
»Es geht ihr leider nicht besser, fürchte ich. Ich bedaure, dass Sie sie in diesem Zustand gesehen haben. Aber deshalb bin ich nicht hier.«
Charlotte sah ihn an und wartete.
»Ich dachte, Sie wüssten es vielleicht
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