Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
klassischen Knoten aufgesteckt hatte.
»Sie muss sich gut und gewandt ausdrücken können, ohne herumzustammeln. Bitte erzählen Sie uns etwas über sich.«
Sally atmete tief ein, schluckte und begann dann in zurückhaltendem, geübtem Ton: »Mein Name ist Sally Mitchell. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt …«
Charlotte hielt hinter der Tür die Luft an. Sally hatte doch schon gesagt, wie alt sie war. Charlotte hoffte, sie würden es nicht seltsam finden, dass sie sich wiederholte.
»Ich habe ein Kind, einen Jungen. Sein Name ist Dickie. Er ist ein Schlingel, aber ich liebe ihn.«
Oh je. Jetzt improvisierte sie.
Sally, die mitbekam, wie die feine Dame die Stirn runzelte, kehrte zu der Rede zurück, die Charlotte für sie ausgearbeitet hatte.
»Mein Sohn ist ein halbes Jahr alt und wird von meiner lieben Schwester versorgt …«
»Danke. Machen wir weiter …«
Doch Sally war noch nicht fertig. »… sodass ich die Möglichkeit habe, eine Stelle als Amme anzunehmen.«
»Wovon wir gerade Zeugen werden. Danke.« Der arrogante Palmer wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Buch in seiner Hand zu. »Sie muss einen kräftigen Hals haben, denn daran, so sagte Hippokrates, erkennt man einen kräftigen Körper.«
Sally schluckte, als drei Augenpaare ihren Hals betrachteten. Sie hob ihr Kinn an, als wollte sie ihnen ihre Aufgabe erleichtern.
»Sie muss große, schwere Brüste haben …«
Sein Blick wanderte tiefer und Sallys kräftiger Hals wurde plötzlich knallrot.
Katherine senkte den Kopf und legte ihre behandschuhten Finger an die Stirn. Ihre breite Hutkrempe verbarg ihr Gesicht. Charlotte fiel auf, dass Mr Harris den Anstand besaß, sein Gesicht abzuwenden. Er räusperte sich. Mr Palmer blickte auf; er schien das Unbehagen des Paares überhaupt nicht zu registrieren.
Mrs Harris sagte: »Wir überlassen es Ihnen, diesen … ähm … Aspekt genauer zu überprüfen. Wir brauchen diese Einzelheiten nicht zu hören.«
»Ah … ja. Gut.« Palmer blätterte eine Seite in seinem Büchlein um.
»Ihr Betragen sollte gut sein, ihr Wesen ernst und bescheiden, sie sollte keinen Hang zum Trinken oder zur Völlerei haben, sanft sein und nicht leicht reizbar, denn es gibt nichts, was das Blut, aus dem die Milch gebildet wird, schneller verdirbt als Zorn oder Traurigkeit.«
»Ja, nun, wir haben Empfehlungen von einem Arzt und der Vorsteherin, die, was das betrifft, für ihren Charakter zeugen«, sagte Mrs Harris herablassend.
»Sehr gut. Und sie muss keusch und tugendhaft sein. Miss Mitchell, sind Sie verheiratet?«
»Nein, Sir.«
»Sie darf sich nicht nach der Gemeinschaft mit ihrem Ehemann oder mit fremden Männern sehnen, denn die fleischliche Vereinigung beeinträchtigt das Blut und damit auch ihre Milch.«
Sally errötete abermals und Katherines Hand wanderte wieder an ihre Schläfe.
»Ja, ja.« Mr Harris stand erregt auf. »Mr Palmer, bitte versuchen Sie daran zu denken, dass sich eine Dame im Raum befindet.«
»Ich versuche nur zu entscheiden, ob diese Frau eine gute Amme abgeben würde.«
»Gut, gut. Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen?«
»Nun, ich muss noch ihre Brüste untersuchen und prüfen, ob ihre Milch die korrekte Farbe und Konsistenz hat …«
Charles Harris senkte den Kopf und sagte scharf: »Und wie lange wird das dauern?«
»Nicht lange. Was die Milch betrifft, so muss die Amme eine kleine Menge auf einen Spiegel herausdrücken. Die Milch muss reinweiß sein, einen süßen Geruch haben und darf weder zu dick noch zu dünn sein.«
»Dann prüfen Sie das, Mann.« Charles Harris setzte sich wieder hin.
Der Accoucheur und Sally verschwanden hinter einem Vorhang, der eigens zu diesem Zweck aufgehängt worden war.
Charlotte spürte sogar an ihrem sicheren Platz, wie ihr Herz klopfte und ihr Gesicht und ihr Hals heiß wurden bei dem Gedanken, was die arme Sally auf der anderen Seite des Vorhangs erdulden musste. Die einzigen Geräusche waren die von raschelnden Kleidern. Hin und wieder murmelte Mr Palmer: »Mmm-hmmm.«
Fünf Minuten später tauchte der Mann wieder auf, ein Glasviereck in der Hand. Er kippte es vorsichtig von Seite zu Seite. »Die Milch fließt langsam, sie ist weder wässerig noch zu dick.«
»Also?«
»Sie wird genügen«, verkündete Hugh Palmer. »Die Größe und die schiefen Zähne der Frau sind zwar nicht ideal, aber insgesamt ist sie akzeptabel.«
Sally kam hinter dem Vorhang hervor und strahlte angesichts dieser Aussage, als sei dies das größte Kompliment,
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