Die Lagune Der Flamingos
Freundin –, musste sie sich doch zwingen, nicht zu ihr hinzuschauen, wenn sie nicht in Gelächter ausbrechen wollte.
Estella war unmöglich. Fräulein Lewandowsky, die Mathematik- und Handarbeitslehrerin, schaute sie mittlerweile beide streng an. Estella war das natürlich gleichgültig. Nur zu deutlich zeigte sie, was sie von Isoldes Vortrag hielt. Marlena erinnerte sich, dass die beiden schon seit geraumer Zeit schlecht aufeinander zu sprechen waren. Vor den letzten Ferien hatte Isolde Estella ein dreckiges Mischblut genannt, eine Schwarze, die kein Recht darauf habe, auf eine ordentliche deutsche Schule zu gehen, obwohl ihr Vater doch aus einer der einflussreichsten Familien Argentiniens stammte. Wohl deshalb hatte Estella seitdem keine Gelegenheit vergehen lassen, Isoldes zugebenermaßen etwas unglückliches Aussehen und ihre Tollpatschigkeit zu jeder Gelegenheit hervorzukehren.
Demonstrativ drehte Estella sich jetzt zu der Uhr um, die über dem Ausgang der Aula hing, gähnte dann herzzerreißend, bevor sie sich mit einem »Ups, Verzeihung« die Hand vor den Mund schlug.
Marlena biss sich auf die Lippen. Sicherlich würde Fräulein Lewandowsky später noch etwas zu ihrem Benehmen zu sagen haben, aber auch sie, Marlena, würde für das Betragen der Freundin büßen. Sie knuffte Estella leicht in die Seite, die tat, als merke sie es nicht.
Endlich hatte Isolde ihren Vortrag beendet. Mittlerweile leuchtete ihr ganzes Gesicht. Von der Bühne aus spähte sie kurzsichtig in die Menge. Ihr Vater, dem sie sehr ähnlich sah, stand auf und klatschte euphorisch. Ihre Mutter beugte sich zu ihren Nachbarinnen hin und flüsterte vernehmlich: »Das ist meine Tochter, wissen Sie, meine Tochter …«
Dann standen auch schon alle auf, um zum Ausgang zu gelangen. Marlena versuchte, die Gelegenheit zu nutzen, und zerrte Estella mit sich aus der Bankreihe. Vielleicht würde es ihnen gelingen, ohne eine Rüge zu entkommen. Am kommenden Tag konnte die ganze Sache schon vergessen sein, wenn sie Glück hatten.
Sie hatten die Tür fast erreicht, da hielt sie, wie erwartet, die spitze Stimme Fräulein Lewandowskys auf. »Fräulein Weinbrenner, Fräulein Santos! Kommen Sie doch bitte beide einmal zu mir.«
Die beiden jungen Frauen blieben stehen. Es war Estella, die Marlena am Arm mit sich zog. Sie schenkte der Lehrerin ein strahlendes Lächeln, das an Fräulein Lewandowsky sicherlich gänzlich verschenkt war. Die war zwar keine verkniffene alte Jungfer – sie war sogar recht hübsch mit ihrem ovalen Gesicht und dem glatten blonden Haar, das sie stets in einem Dutt trug –, doch sie galt als streng, sehr vaterlandstreu und lachte selten.
»Ja, Fräulein Lewandowsky?«, fragte Estella.
»Mich würde brennend interessieren, was es da zu kichern gibt, wenn ein junges Mädchen seiner Liebe zum Vaterland Ausdruck verleiht?« Fräulein Lewandowsky schaute die beiden Schülerinnen streng an.
»Nichts«, erwiderte Estella. Marlena hörte am leisen Zittern ihrer Stimme, wie sehr sie sich beherrschen musste, nicht in lautes Lachen auszubrechen. »Rein gar nichts. Ich habe auch gar nicht über Isolde gelacht«, log sie im nächsten Moment unverfroren. »Wir waren doch alle sehr ergriffen von ihrer Darbietung zum Geburtstag unseres lieben Kaisers, nicht wahr, Marlena?«
»Äh …«, stammelte Marlena und lief zu ihrem Entsetzen sogar rot an, als Fräulein Lewandowsky sich nun ihr zuwandte und sie streng musterte.
»Fräulein Weinbrenner, ich kann mir ja durchaus erklären, wenn sich ein solches Mischblut nicht zu benehmen weiß …«, Fräulein Lewandowsky blickte kurz wieder zu Estella, »es heißt ja, bei diesen Menschen würden die schlechtesten Eigenschaften der Eltern zwangsläufig hervorgekehrt werden. Ich verstehe also, wenn sich Fräulein Santos nicht zu benehmen weiß – insbesondere, wenn auch nur ein Bruchteil dessen stimmt, was man sich über ihre Mutter erzählt. Aber Sie, Fräulein Weinbrenner, Sie haben mich wirklich enttäuscht.«
Marlena wollte etwas antworten, doch Estella fuhr dazwischen. Als sie sprach, konnte Marlena ihre Stimme vor Wut zittern hören.
»Was wollen Sie damit sagen, Fräulein Lewandowsky? Dass ich hier eigentlich nichts zu suchen habe, weil mein Vater ein Argentinier ist? Seien Sie versichert, ich zähle die Tage, bis ich diesen Ort verlassen darf.«
»Dass Sie die Schule nicht sonderlich interessiert, nun, das ist mir längst aufgefallen, Fräulein Santos.« Fräulein Lewandowsky hob ihre sehr
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