Die Lagune Der Flamingos
weil sie von Philipp geträumt hatte, weil er ihr die breiten Hände um den Hals gelegt und zugedrückt hatte.
An diesem strahlend schönen Märzmorgen im Jahr 1882 hatte sie ihr Pferd früh satteln lassen und sich dann, in Eduards Auftrag, auf den Weg gemacht, ein frisches Brot zu Arthur Weißmüller zu bringen. Eduard hatte ihr erzählt, dass er ein Wolgadeutscher sei, den er in La Boca kennengelernt hatte. Arthurs Fleiß hatte Eduard imponiert, deshalb hatte er ihm Land zur Pacht angeboten. Außerdem versorgte Weißmüller eine der Schafherden von La Dulce.
Er hat ihn mit hergenommen, wie er auch Annelie und mich mitgenommen hat. Als ob er Strandgut sammeln würde, aus dem man vielleicht noch etwas machen könnte, fuhr es Mina durch den Kopf.
Arthur war ein netter Mann, der, wie sie fand, immer etwas traurig aussah. Mina hatte sich rasch mit ihm angefreundet und wusste bald sehr genau um die traurige Geschichte seiner verschwundenen Frau. Es berührte sie, mit welcher Liebe er immer noch von ihr sprach.
Auch er hat nicht aufgegeben, dachte sie, und ich darf den Gedanken, Frank wiederzufinden, ebenfalls nicht aufgeben.
»Reiten Sie nicht zu weit weg, Fräulein Mina …«, sagte Arthur zu ihr, als sie ihm jetzt das Brot gab.
Mina musste lächeln, als sie ihn so sprechen hörte. Arthur war der Einzige, der sie hier »Fräulein Mina« nannte. Die Letzte, die sie so genannt hatte, war die Haushälterin ihrer Großeltern gewesen. Plötzlich kam die Erinnerung an eine Mina in Spitzenkleidern und mit langen Schillerlocken zurück. Ach Gott, wie lange war das jetzt her, damals war sie wirklich noch ein Kind gewesen.
»Ich passe auf, Arthur, das wissen Sie doch.«
Arthur grüßte, und Mina schlug der braunen Stute mit der auffälligen sternförmigen Blesse – sie hatte sich in Eduards Stall sofort in dieses Tier verliebt – die Fersen in die Seiten. Vom leichten Trab wechselte sie bald in den Galopp.
Mina entfernte sich auch heute nicht weit von La Dulce, aber sie ritt kreuz und quer über das Land, bis ihr der Schweiß über den Körper lief und die Hitze in ihren Wangen glühte. Sie liebte es, sich körperlich zu verausgaben. Wie immer nach einem ihrer Reitausflüge lenkte sie das Tier am Schluss zur Lagune. Dort würde sie noch etwas zur Ruhe kommen, bevor sie nach La Dulce zurückkehrte. Schon am Anfang des schmalen Weges, der erst durch dichtes Buschwerk, dann durch Schilf führte, stieg sie ab und führte ihre Stute am Zügel hinter sich her. Unerwartet schnaubte das Tier.
Als ob da noch ein Pferd wäre .
Trotzdem ging Mina weiter. Sie fürchtete sich nicht mehr. Sie hatte keinen Grund dazu. Sie war sicher hier auf La Dulce.
Wie sie vermutet hatte, stand tatsächlich jemand am Ufer. Ein junger Mann, den sie hier noch nie gesehen hatte. Er trug eine traditionelle indianische Hose, die chiripá, und dazu einen Poncho. Sein langes schwarzes Haar hatte er im Nacken mit einem Lederband zusammengenommen.
Ein Indio, durchfuhr es Mina, jetzt doch mit deutlichem Unbehagen. In Santa Fe hatten Indios stets auch Gefahr bedeutet.
Der junge Mann hatte sie wohl ebenfalls bemerkt, war jedoch offenbar wenig beunruhigt. Erst jetzt drehte er sich langsam zu ihr um.
»Guten Tag, Señorita«, sagte er mit einem Lächeln.
»Guten Tag«, entgegnete Mina knapp und runzelte die Stirn. »Darf ich wissen, wer Sie sind und was Sie hier tun? Sie befinden sich auf dem Land von La Dulce.«
»Nun, das ist mir durchaus bewusst. Ich bin Paco Santos«, sagte der junge Mann, kam im nächsten Moment auf Mina zu und küsste formvollendet ihre Hand. »Meine Mutter ist eine alte Bekannte von Señor Brunner.«
Paco Santos, wiederholte Mina bei sich, sie war sich sicher, diesen Namen noch nie gehört zu haben.
»Gehen wir gemeinsam zum Haus?«, fragte der junge Mann nun und nahm seinen Schecken, der eben noch, auf der Suche nach Fressbarem, den Boden abgesucht hatte, fester bei den Zügeln.
Mina nickte. Verstohlen musterte sie den jungen Mann. Er war recht groß, hatte ein scharf geschnittenes indianisches Profil. Wenn er ihre Neugier bemerkte, sah er über sie hinweg. Mina aber konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wie Eduard Brunner mit Indios befreundet sein konnte.
»Paco! Paco Santos, meine Güte, bist du groß geworden.« Eduard schloss den jungen Mann in die Arme, als Paco und Mina die Estancia erreichten. Er musterte ihn eindringlich. »Was führt dich hierher?«
Paco lachte. »Ich werde bald einem Rechtsanwalt in
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