Die Lagune Der Flamingos
würde, aber dem war nicht so. Marlena und Leonora verhielten sich fast wie Fremde zueinander.
Doch heute konnte sie sich darum nicht kümmern. Am späten Nachmittag hatte plötzlich Fräulein Brand vor der Tür gestanden, Marlenas Lieblingslehrerin. Wenig später hatte Anna von Marlenas Schwangerschaft erfahren.
Als hätte ich es gewusst, fuhr es Anna durch den Kopf. Als hätte sie es tatsächlich geahnt, war sie an diesem Nachmittag früher aus dem Fuhrunternehmen nach Hause gekommen. Wann kam denn Julius endlich? Sie musste doch mit irgendjemandem reden. Und wo blieb Marlena?
Sie wird nicht kommen. Sie traut sich nicht nach Hause.
Kurz nachdem die Nachricht sie erreicht hatte – welche Schande! –, hatte sich Anna erst ausgemalt, ihrer Tochter eine Tracht Prügel zu verabreichen, obwohl sie sie noch nie geschlagen hatte. Inzwischen hoffte sie nur noch, dass Marlena endlich wiederauftauchte. Himmel, es war doch so gefährlich für ein junges Mädchen allein in der Stadt.
Schließlich konnte sie sich überhaupt nicht mehr konzentrieren und bat die Kinderfrau, sich um Leonora zu kümmern.
Julius fand Anna in Tränen aufgelöst vor. Nur stockend konnte sie ihm erzählen, was geschehen war.
»Wir suchen sie«, sagte Julius sofort. »Ich lasse ein Pferd satteln und …«
»Nein«, Anna griff nach seinem Arm, »bitte bleib bei mir. Wir finden sie ohnehin nicht in dieser Dunkelheit. Wir warten bis morgen.«
Hoffentlich hat sie sich nichts angetan, schoss es ihr durch den Kopf, hoffentlich geht es meiner Kleinen gut.
Obwohl Diablo schon lange nicht mehr vermietet und nur noch selten geritten wurde, hatte er weiter seinen Platz im Stall des Fuhrunternehmens Meyer-Weinbrenner & Co und wurde täglich von einem der Stallburschen bewegt. Einst war Diablo es gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass Anna die Arbeitsstelle im Fuhrunternehmen Breyvogel erhalten hatte. Das hatte Anna nicht vergessen. Sie besuchte das Tier gern. Sie setzte sich zu ihm, lehnte sich manchmal sogar an seinen kräftigen Körper, erzählte ihm, was sie bedrückte. Der einstmals so nervöse Rappe war ruhig geworden. Er erinnerte sie an ihre Anfänge in Argentinien, an Glück und Leid, Sieg und Niederlage.
Anna unterdrückte einen Seufzer. Auch jetzt suchte sie wieder Trost bei Diablo. Trotz intensiver Suche hatten sie Marlena bisher nicht gefunden. Auch Jenny und Rahel hatten ihnen nicht helfen können. Es war, als sei das Mädchen vom Erdboden verschluckt worden. Anna drückte sich gegen das Tier, streichelte seine Flanken.
Was, wenn sie tot ist, fuhr es ihr durch den Kopf. Was mache ich, wenn meine kleine Marlena tot ist?
Zwölftes Kapitel
Wie konnte hinter einem solchen Engelsgesicht nur ein solch verdorbener Teufel lauern? Diego lächelte anerkennend. Maisie hatte ihren Mann Lorenz wirklich im Griff. Er las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Er trug sie auf Händen und wusste doch nicht, was hinter seinem Rücken geschah. Er hatte beispielsweise keine Ahnung, dass Maisie ihn mit seinem Sekretär betrog.
Heute hatte Maisie Diego erstmals in ihr Zimmer gebeten. Als er eintrat, lag sie vollkommen nackt auf ihrem Bett. Die leichten Vorhänge waren vorgezogen, aber sonst hatte sie keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Er kannte niemanden, der so unbefangen mit seinem Körper umging, noch nicht einmal die Hure, in deren Armen er seine Unschuld verloren hatte. Maisie war eine Königin. Er wusste, dass sie zu einer wichtigen, reichen Familie gehörte. Man erzählte sich so einiges über die Cuthberts. Sie waren fester Bestandteil der vornehmen Gesellschaft von Buenos Aires.
»Komm her«, sagte Maisie jetzt mit ihrer festen, dunklen Stimme, die ihm verlässlich Schauer über den Rücken jagte.
»Hier?«, fragte er noch einmal und versuchte, sich die Verunsicherung nicht anmerken zu lassen.
Du bist ein Mann, ermahnte er sich dann.
»Warum nicht?«, erwiderte sie. »Es ist mein Haus.«
»Aber …«
»Kein Aber, es gibt kein Aber für mich.« Maisie lächelte. »Das hat es noch nie gegeben.«
»Dein Mann könnte …«
Sie lächelte jetzt nicht mehr, nein, sie lachte, tief und gurrend.
»Mein Mann ist nicht hier.« Sie streckte ihm die Arme entgegen. »Und jetzt komm. Los, zieh dich aus.«
Er gehorchte, zog das Hemd über den Kopf, schlüpfte aus seiner Hose. Einen Atemzug später hielt er ihren geschmeidigen Körper in den Armen. Sie hob ihren Kopf und küsste ihn atemlos.
Sie braucht dich, fuhr es ihm da durch den Kopf. Zum ersten Mal
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