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Die Lagune Der Flamingos

Die Lagune Der Flamingos

Titel: Die Lagune Der Flamingos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofia Caspari
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rundlicher geworden. Seine Gesichtsfarbe war gesund. Er trug einen Anzug und hatte sein immer noch dichtes braunes Haar sorgfältig gekämmt. Für einen Moment selbstvergessen strich sich Lorenz durch sein eigenes, mittlerweile etwas schütteres Haar. Dann ging er auf Eduard zu und begrüßte ihn.
    »Wir haben uns lange nicht gesehen. Wie geht es auf La Dulce ? «
    »Ich bin zufrieden«, entgegnete Eduard.
    Seine Antwort erschien Lorenz sehr zurückhaltend, aber er beschloss, nicht näher darauf einzugehen. Die Zeit des Misstrauens musste vorbei sein, er war kein schäbiger Halsabschneider mehr, sondern ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er brauchte niemanden zu fürchten, schon gar nicht den Verwalter einer Estancia. Lorenz blickte sich kurz um.
    »Wo sind denn Mina und Annelie? Haben sie dich nicht begleitet?«
    Für einen winzigen Moment, so erschien es Lorenz, wurden Eduards Augen schmaler. Gleich darauf fühlte er selbst sich genauer in den Blick genommen. Es kostete ihn Kraft, das plötzliche Unbehagen herunterzukämpfen. Verflucht, Eduard hatte immer noch eine Art, einen anzuschauen …
    »Sie wollten auf La Dulce bleiben. Sie mögen Buenos Aires nicht.«
    »Aha, das ist ja mal eine neue Sichtweise.« Lorenz sah zur Seite, ohne Eduard dabei jedoch ganz aus dem Blick zu lassen. »Sonst will doch immer alle Welt in die Stadt. Hattest du eigentlich je den Eindruck, dass mit den beiden irgendetwas nicht stimmt?«
    Es entstand eine längere Pause, bevor Eduard antwortete. »Nein«, sagte er mit Bedacht.
    »Weißt du …«, Lorenz hatte sich jetzt so gestellt, dass Eduard die Wand im Rücken hatte. Er würde nicht an ihm vorbeigelangen, wenn er sich nicht an ihm vorbeidrängte, »… ich hatte immer den Eindruck, dass sie aus einer guten Familie stammen. Ich frage mich, wie sie in die Gosse von Buenos Aires gelangen konnten?«
    Dieses Mal kam Eduards Antwort schneller. »Das Leben geht oft seltsame Wege«, entgegnete er, »das wissen wir beide doch am besten, nicht wahr?«
    Julius wechselte einen liebevollen Blick mit Anna, bevor sie ihre Aufmerksamkeit beide wieder dem älteren Herrn zuwandten, der ihnen gegenüber am Tisch saß und sein Tässchen Mate-Tee genoss. Aus einem der anderen Zimmer schwebte Klaviermusik zu ihnen herüber und unterlegte das Murmeln der Gäste mit einem ganz eigenen Rhythmus. Der ältere Mann, der sie gefragt hatte, ob er sich zu ihnen setzen dürfe, ereiferte sich nun schon seit geraumer Zeit über den Wandel der Zeiten. In der Mitte des 19. Jahrhunderts zum Mann gereift, erinnerte er sich wie viele seiner Altersgruppe mit zärtlicher Melancholie an die ruhigeren, bequemeren Tage der gran aldea , als das Leben im großen Dorf Buenos Aires noch nicht von zahllosen Fremden und dem Exportboom durcheinandergewirbelt worden war.
    »Dieses ständige Chaos, dieser Lärm …«, klagte er jetzt wieder und setzte seine Tasse mit einem Ruck ab. »Dieser Merkantilismus.« Er schüttelte den Kopf, starrte einen Moment lang auf seine Tasse. »Der gute Yerba-Mate scheint das einzig Konstante in diesen Zeiten zu sein.«
    »Noch eine Tasse, Señor …?«, fragte Anna.
    »Cuthbert.« Er zwinkerte ihr zu. »Ich bin übrigens der Vater der Gastgeberin.«
    Lionel Cuthbert!, hätte Anna fast ausgerufen. Sie hatte schon so viel von diesem Mann gehört und hätte niemals gedacht, dass er den alten Zeiten nachtrauerte. Die Cuthberts wohnten südlich der Plaza de Mayo, wie es sich eigentlich für eine Familie gehörte, die ihre Herkunft auf die Kolonialzeit zurückdatierte. Diejenigen, deren Wohlstand jüngerer Herkunft war, besiedelten dagegen die Nordseite der Plaza – ebenfalls nahe am Brennpunkt von Macht und Prestige, jedoch mit der Möglichkeit, weiter zu expandieren, denn hier lagen noch Grundstücke brach.
    »Sie hatten sich offenbar eine andere Vorstellung von mir gemacht«, bemerkte Lionel Cuthbert, dem ihr Zögern nicht entgangen war.
    »Wenn ich ehrlich bin, ja«, entgegnete Anna.
    »Man kennt ja eher Ihren Ruf als Geschäftsmann«, meldete sich Julius zu Wort.
    Lionel lachte warm. »Ach, seit ich Großvater geworden bin, gehe ich die Sache ruhiger an. Sie können sich sicherlich vorstellen, wie stolz ich bin. Lionel Nicolás heißt der Kleine. Lionel, nach mir.«
    »Wie schön«, antwortete Anna, bemüht, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken.
    Eigentlich hatte sie gar nicht herkommen wollen. Julius hatte sie überredet. Vielleicht, hatte er zu ihr gesagt, vielleicht erfahren wir dort etwas

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