Die Lagune Der Flamingos
selbstgerechten alten Mann, der alles darangesetzt hatte, ihrer Mutter das Leben schwer zu machen. Und ausgerechnet diesem Mann trauerte Anna jetzt nach.
»Es … es tut mir leid, Mama«, sagte Marlena.
»Danke, Kleines.« Anna streckte die Arme nach ihrer Tochter aus. »Komm, lass dich umarmen.«
Marlena zögerte. Ihr Bauch war zwar noch flach, aber es kam ihr irgendwie unehrlich vor, sich jetzt umarmen zu lassen. Anna bemerkte ihr Zögern wohl und wirkte gleich noch verlorener. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
»Es tut mir leid, ich wollte dir nicht zu nahetreten.«
»Du bist mir nicht zu nahegetreten, Mama, ich … ich bin ein wenig erkältet. Ich will dich nicht anstecken.«
Anna nickte verständnisvoll, und gleich fühlte Marlena sich noch schlechter. Sie trat an Annas Seite und streichelte ihre tränenfeuchte Wange. Irgendwann ließ Anna den Kopf auf die Schulter ihrer Tochter sinken und begann erneut zu weinen.
Was sollte sie nur tun? Wie sollte sie ihrer Mutter nur von dem Kind erzählen?
Zwei Monate später, zur Turnstunde, passierte es. Marlena war die Letzte, die an diesem Tag noch in der Umkleide war. Mit Entsetzen hatte sie eben festgestellt, dass der weiße Kittel, den sie zum Turnen trug, ihre Leibesfülle einfach nicht mehr verbergen wollte. In der vergangenen Woche hatte sie sich schon einmal krankgemeldet. Diese Woche war es ihr, als hätte ihr Umfang mit einem Mal explosionsartig zugenommen.
Nachdenklich strich sie das Kleidungsstück über ihrem Bauch glatt und sah an sich hinunter. Abends, wenn sie im Bett lag, bewegte sich das Kind in ihr nun immer öfter. Leise wie ein flatternder Schmetterling zwar nur, aber sie spürte es ganz deutlich. John hatte ihr gesagt, das sei normal – offenbar hatte er Erfahrung mit diesen Dingen. Ansonsten überließ er ihr das Problem. Er freute sich auf das Kind, aber in diesem Stadium schien er es für ihre Sache zu halten. Marlena wusste, dass das nicht ungewöhnlich war, trotzdem fühlte sie sich allein. Nicht einmal ihrer Mutter hatte sie sich bisher anvertraut.
Marlena ließ den Kittel los, doch auch so war ihre Schwangerschaft inzwischen deutlich zu erkennen. Was sollte sie nur tun? Sollte sie noch einmal Krankheit vorschützen? Sie konnte sich ohnehin nur noch schlecht bewegen. Manchmal, wenn sie rannte, hatte sie den Eindruck, ihr Bauch mache sich selbstständig.
Marlena seufzte. Nur einen Moment später ließ ein Geräusch in ihrem Rücken sie herumfahren. Isolde und Alma! Sie hatte nicht aufgepasst. Fassungslos starrte sie in die hämisch blickenden Gesichter der verhassten Klassenkameradinnen.
Alma begann jetzt zu lachen.
»Schau an, schau an«, sagte sie.
»Schau an, schau an«, wiederholte Isolde, deren Augen entschlossen funkelten, als wolle sie diesen Augenblick so lange wie möglich auskosten. »Unsere Marlena erwartet ein Kind. Bist du denn schon verheiratet, meine Liebe? Das habe ich ja gar nicht mitbekommen.«
Marlena presste die Lippen aufeinander. Sie wusste einfach nicht, was sie sagen sollte. Isolde war die Letzte, von der sie sich hätte erwischen lassen sollen.
»Machst du es jetzt der Schwarzen nach?«, fragte Alma, während sie sich mit einem Blick auf Isolde versicherte, dass sie richtig gehandelt hatte.
Isolde nickte bekräftigend, dann wanderte ihr Blick zur Tür. »Ich frage mich, was Fräulein Lewandowsky zu diesen Neuigkeiten sagt«, bemerkte sie genüsslich.
Marlena durchfuhr es siedend heiß. Keinesfalls wollte sie vor der ganzen Schule vorgeführt werden. Was sollte sie nur tun, um das zu verhindern? Sie wich zur Wand zurück. Isolde und Alma gingen einen weiteren Schritt auf sie zu. Als Isolde nach ihrem Arm griff, riss Marlena sich los.
»Nun komm schon, du Dreckstück«, entfuhr es Isolde ungeduldig.
»Isolde!«, rief Alma, tatsächlich entsetzt über den rüden Ausdruck.
Marlena nutzte die Gelegenheit, griff nach ihrer Tasche und huschte an den beiden vorbei. »Halt die Schlampe fest, Alma!«, konnte sie Isoldes Stimme hören.
Doch zu spät. Marlena war schon durch die Tür der Umkleide, zog diese hinter sich zu und verriegelte sie im gleichen Moment. Nur kurz erlaubte sie sich, stehen zu bleiben. Isolde und Alma hämmerten wütend dagegen, aber die Umkleide war weit genug von der Turnhalle entfernt. Es würde seine Zeit dauern, bis die beiden entdeckt wurden. Wenn die Turnlehrerin, Frau Bethmann, niemanden nach ihnen schickte, würde das sogar erst zum Ende der Stunde geschehen.
Bis dahin,
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