Die Lagune Der Flamingos
Es war dasselbe, in dem sich auch Paco eingemietet hatte, bevor er gefangengesetzt worden war. Ein Arzt hatte den jungen Mann langsam wieder ins Leben zurückgelockt. Viktoria setzte sich auf Pacos Bett.
»Himmel, Junge«, sagte sie, »was hast du nur gemacht? Ich habe Todesängste ausgestanden.«
Paco lächelte, fast etwas verlegen. »Ich auch.«
»Aber was ist nur geschehen?«
»Nichts, ich wollte mir ein Bild von der Lage machen und entschied vor Ort, nahezu spontan, mich für die Gefangenen einzusetzen und …« Paco runzelte die Stirn. »Wir hatten unsere Auseinandersetzung eben erst angefangen, da schlug dieser Kommandeur plötzlich zu … Danach weiß ich nichts mehr. Als ich aufwachte, befand ich mich auch schon in diesem Verschlag. Mir dröhnte der Schädel, bald hatte ich entsetzlichen Durst, und dann kam auch noch das verdammte Fieber dazu.«
Viktoria stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ach Gott, da freue ich mich, dass dein Vater endlich vernünftig wird, und jetzt fängst du auch noch so an.«
»Es tut mir leid, Mama, ich wollte dir keine Ungelegenheiten bereiten, aber es liegt wohl in der Familie.«
»Ungelegenheiten«, echote Viktoria. Dann lachte sie zum ersten Mal seit Tagen. »Ungelegenheiten, wie gewählt du dich ausdrückst.«
Auch Paco grinste jetzt. »Das muss man doch als zukünftiger Rechtsanwalt, oder etwa nicht?« Dann sah er seine Mutter fest an. »Ich würde jetzt gern nach Hause fahren, nach Tres Lomas. Ist das möglich?«
»Aber natürlich«, sagte Viktoria.
Und endlich konnte sie weinen.
Viertes Kapitel
»Was machst du denn für Sachen, Bruderherz? Da erzähle ich allen, mein Bruder wird Rechtsanwalt, und stattdessen geht er auf den Kriegspfad.«
»Estella!«
Paco kam sich plötzlich wieder wie der kleine Junge vor, der er einmal gewesen war. Seine ältere Schwester lachte.
»Kannst du denn nichts ernst nehmen?«, fragte er sie gleich darauf, mit leichtem Vorwurf in der Stimme.
»Doch, mich!«
Sie lächelte. Jedem anderen wäre er böse gewesen, nicht aber Estella. Im nächsten Moment blickte sie auch schon wieder ernst drein.
»Es tut mir so leid, was geschehen ist. Das muss schrecklich gewesen sein.«
»Geht schon«, winkte er ab, »aber dass ich diesen armen Menschen nicht helfen konnte …« Er schüttelte den Kopf.
»Du hast dein Bestes getan.«
»Hm. Aber das war eben nicht genug.«
Pacos Gesichtsausdruck verdüsterte sich. Es ärgerte ihn auch, dass er den Eindruck hatte, immer noch nicht seine vollen Kräfte zurückgewonnen zu haben.
»Sei nicht so streng mit dir.«
Jetzt war Estella wieder die liebevolle Schwester, die, die ihren Bruder bis zum letzten Blutstropfen verteidigen würde. Paco verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich mag Estella, ich mag sie wirklich .
»Ich kann diese Ungerechtigkeit nicht aushalten, verstehst du?«, erklärte er sein Verhalten.
Estella nickte, ging aber nicht weiter auf seine Worte ein. Paco biss die Zähne aufeinander, bevor er weitersprach.
»Es ist doch so, dass die Weißen die Indios menschenunwürdig behandeln. Sie werden ausgebeutet, durch Alkohol und Krankheiten dezimiert … Aber es muss einen Platz auf dieser Welt für sie geben, oder etwa nicht? Gott hat uns doch alle geschaffen.«
Estella musterte ihren Bruder. Ein Gespräch fiel ihr ein, das Pedro und Paco miteinander geführt hatten. Damals war Paco wieder einmal mit einem seiner Hauslehrer aneinandergeraten und hatte seinem Vater aufgeregt davon erzählt.
»Er hat gesagt, dass die Indianer eigentlich gar nicht hierher gehörten. Er sagt, dass ihnen das Land nicht gehöre.«
Pedro hatte von der Machete aufgesehen, die er eben schärfte. »Nun, vielleicht gehört das Land ihnen genauso wenig wie den Weißen. Vielleicht kann man Land eigentlich nicht besitzen.«
»Es gibt Menschen, die den Indios helfen«, erwiderte Estella nun leise. »Die Franziskaner, die evangelischen Missionsstationen …«
»Aber das sind nur Inseln, Estella, Inseln, auf die sich die wenigsten retten können.« Paco sah seine Schwester unzufrieden an.
Estella schwieg.
»Deshalb kann und darf ich nicht aufgeben, verstehst du?«, fuhr Paco fort.
»Aber es ist gefährlich.«
»Ja.«
»Bitte pass auf dich auf, Paco. Ich könnte es wirklich nicht ertragen, dich zu verlieren.«
»Das werde ich. Ich passe ab jetzt besser auf.« Eine Weile hing Paco seinen Gedanken nach, dann fragte er: »Wie geht es eigentlich Marco? Ihr geht sonntags manchmal zusammen spazieren, nicht?«
Estella
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