Die Lagune Der Flamingos
seine Hand und zog ihn neben sich.
»Deine Mutter hat mit meiner gesprochen, und jetzt wollen sie es mir ermöglichen, nach Buenos Aires zu gehen und etwas zu lernen.« Marco zögerte einen Moment. »Wenn alles gut läuft, dann komme ich in ein paar Jahren wieder und kann mir von meiner Hände Arbeit ein besseres Leben leisten. Dann baue ich meiner Familie ein Haus, und wir …«
Ein paar Jahre … Das war so lange! Er konnte sie doch nicht so lange allein lassen.
»Aber du gehst nicht einfach so, oder?«, begehrte sie zu wissen. »Du gehst nicht, ohne dass wir uns voneinander verabschiedet haben.«
»Nein.« Marco sah Estella entsetzt an. »Du bist … du bist …« Er holte tief Luft. »Du bist das Wichtigste, was es für mich gibt.«
»Neben deiner Familie«, neckte sie ihn.
Er wurde ernst. »Ich wünschte, du würdest zu meiner Familie gehören.«
Seine Antwort nahm ihr für einen kurzen Augenblick den Atem. So ehrlich, so offen hatte er noch nie mit ihr gesprochen. Es berührte sie so sehr, dass sie fast in Tränen ausgebrochen wäre.
Dabei bin ich sonst gar keine Heulsuse, fuhr es ihr durch den Kopf, ich lasse mich doch von niemandem beeindrucken.
Marco legte seinen Arm um sie und drückte sie an sich. Sie wollte sich steif machen, doch sie konnte nicht. Als könne sie nichts dagegen tun, wurde ihr Körper weich unter Marcos Berührung.
An diesem Abend weilte ein gewisser Señor Stutterheim auf Tres Lomas, doch Estella war zu sehr in Gedanken versunken, um sich an dem während des Essens geführten Gespräch zu beteiligen. Stutterheim richtete seine Aufmerksamkeit ohnehin zumeist auf ihren Stiefvater und ihren Bruder.
»Ich verstehe Sie, Señor Santos, und ich sehe es genauso«, riss sie Stutterheims Stimme jetzt doch aus ihren Gedanken. Der Mann legte kurz die Fingerspitzen gegeneinander und beugte sich dann etwas vor, bevor er weitersprach. »Ich will es auch genauso in meinen Bericht aufnehmen. Darf ich Ihnen vorlesen, was ich zu Toba-Indianern geschrieben habe?«
Er schaute Paco fragend an. Der nickte, nachdem er sich mit einem Blick bei seinen Eltern versichert hatte, dass auch sie dem Vorhaben zustimmten. Nur Señor Stutterheim schien noch verunsichert.
»Ich weiß nicht, es sind Damen anwesend, die das Ganze möglicherweise nicht interessiert oder gar erschreckt«, merkte er an.
»Seien Sie versichert«, meldete sich nun Viktoria zu Wort, »hier sind keine schreckhaften Damen, die sich vor ein wenig Wahrheit fürchten.«
Señor Stutterheim nickte.
»Gut … Also … Es ist meine Ansicht …«, er räusperte sich noch einmal und entschied dann, einfach seinen Text vorzulesen: »Wenn man es versteht, die Indios richtig zu behandeln, sie zu beherrschen, ohne sie allzu sehr zu unterdrücken, wenn man ihnen ihre Souveränität nicht mit einem Schlage wegnimmt, sondern ihnen auf ihrem Gebiet gewisse Freiheiten lässt und Konzessionen macht ihre kleinen Eitelkeiten betreffend, dann können diese arbeitswilligen Wilden in Zukunft bei der Besiedlung und Bebauung dieser weiten Landstriche einen unschätzbaren Nutzen bringen. Natürlich werden sich, je weiter die Zivilisation vorrückt, ihre Ansprüche steigern, aber wenn man die Dummheit begeht, ihnen gar keine Rechte zuzugestehen, wird die Freundschaft sehr bald zu Ende sein. Wenn also man mit diesen Menschen in Frieden leben und sich ihre Arbeitskraft und Landeskenntnis zunutze machen will, dann muss man sich davor hüten, sie in Sklaven zu verwandeln, und anständig mit ihnen umgehen.«
»Gewisse Rechte zugestehen?«, mischte sich Pedro sofort ein, nachdem Stutterheim geendet hatte.
Estella hob die Teetasse an die Lippen und beobachtete Pedro. Ihm war nur zu deutlich anzusehen, dass er Stutterheims Ansichten nicht teilte.
»Und was soll mit denen geschehen«, fuhr er fort, »die nichts von der weißen Zivilisation wissen wollen? Haben sie nicht ein Recht zu leben, wie es ihre Väter und Vorväter getan haben?«
»Aber das sind eben die neuen Zeiten«, hielt Stutterheim dagegen. »Die Eisenbahnen, neue Siedler, die das Land urbar machen, dagegen werden ein paar vagabundierende Indios, die noch wie in der Steinzeit leben, nichts ausrichten können. Wenn sie sich nicht anpassen, dann werden sie von dieser Erde hinweggefegt. So ist eben der Lauf der Dinge.«
»Und ich sage, es werden die vom Angesicht dieser Erde verschwinden, die ihre Wurzeln aufgeben und ihre Herkunft verleugnen«, mischte sich nun Paco ein.
»Lassen wir doch Señor
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