Die Lagune Der Flamingos
stellte Pedro fest, dass Viktoria aufgeregt wie ein junges Mädchen auf ihn zustürzte. Er war die letzten zwei Tage unterwegs gewesen, hatte sich ein Stück Land angesehen, das brach lag und nun urbar gemacht werden sollte. Jetzt kam er gar nicht dazu, aus seinem Poncho zu schlüpfen. Fest hielt Viktoria ihn bereits mit beiden Armen umschlungen und schien ihn gar nicht mehr loslassen zu wollen. Schließlich war er es, der sich vorsichtig aus ihrer Umarmung löste.
»Wo warst du denn?«, rief sie vorwurfsvoll aus.
»Ich habe dir doch einen Brief dagelassen. Du wusstest doch, dass ich über Nacht weg sein würde.«
»Du hast mir einen Brief geschrieben?« Viktoria starrte Pedro entgeistert an. »Aber das machst du doch sonst nie!«
»Doch, seitdem du dich beim letzten Mal dermaßen beschwert hast, dass mir heute noch die Ohren klingeln«, antwortete Pedro mit einem Schmunzeln.
»Aber wo ist er denn? Ich habe ihn nicht gefunden!«, rief Viktoria empört aus.
»Wie auch«, Pedro grinste jetzt, »ich nehme an, auf deinem Schreibtisch herrscht das übliche Durcheinander?«
Viktoria schwieg einen Moment, während sich ihre Mundwinkel nicht einigen konnten, ob sie sich nun beleidigt geben oder doch zu einem Lächeln verziehen sollten. Pedro ließ sie nicht aus den Augen.
Meine Geliebte, dachte er, meine geliebte Viktoria. Sie war nun vierundvierzig Jahre alt und immer noch recht schlank, wenn ihr Körper auch insgesamt weicher geworden war. Die Konturen ihres Gesichts waren nicht mehr so straff wie zu Anfang ihres Kennenlernens, aber er liebte sie. Er hatte von jeher auch jede Veränderung an ihr gemocht, jedes Fältchen, das hinzugekommen war. Manchmal bedauerte er es, dass sie nach Paco kein Kind mehr bekommen hatten. Damals, etwa drei Monate nach der Geburt von Leonora, Annas Tochter, war das gewesen, hatte Viktoria eine Fehlgeburt erlitten. Im letzten Jahr hatten sie erneut ein Kind verloren. Sie, die sonst selten die Fassung verlor, sondern stets mit beiden Beinen im Leben stand, hatte sich einige Wochen zurückgezogen und niemanden sehen, mit niemandem sprechen wollen. Ob sie jetzt noch manchmal daran dachte?
Viktoria hatte sich in diesem Moment anscheinend entschlossen, nicht beleidigt zu sein. Sie nahm Pedros rechte Hand.
»Und Paco? Habt ihr euch verstanden?«
Pedro schüttelte langsam den Kopf. »Wieso Paco? Er ist nicht mit mir gekommen.«
»Aber …« Viktoria stutzte. »Wo ist er denn hin?« Plötzlich riss sie die Augen auf. »O mein Gott. Er hat doch etwas von Kämpfen im Chaco erzählt … Erinnerst du dich? Er wird doch nicht …«
Pedro und Viktoria wechselten einen Blick. Sie kannten ihren Sohn nur zu gut. Wenig später standen sie beide in Pacos Zimmer.
Gott sei Dank war Paco nicht ordentlicher als seine Mutter. Auf seinem Schreibtisch lag eine Landkarte. Ein paar Stellen darauf waren mit Bleistift markiert. Viktoria sah beunruhigt, dass sich der Ausdruck auf Pedros Gesicht verdüsterte.
»Es sieht so aus, als sei sein Besuch bei uns nicht ganz zufällig gewesen. Unser Sohn wollte sich hier wohl noch ein paar Informationen holen und hat sich dann auf den Weg ins Kampfgebiet gemacht …«
»Ja, aber …« Viktoria schaute Pedro entgeistert an. »Ohne mir etwas zu sagen? Wie kommt er dazu?«
»Er ist achtzehn Jahre alt. Denkst du, da will er dich noch um Erlaubnis bitten?«
»Aber er ist unser Kind.«
»Vor allem ist er ein Idealist, Viktoria, und seine Arbeit für den Rechtsanwalt hat ihn noch darin bestärkt, sich der Welt entgegenzustellen. Ich fürchte, er ist aufgebrochen, um den Indios zur Seite zu stehen …«
»Im Kampfgebiet?«
Pedro konnte nur nicken. Er hatte von den Kämpfen in dieser Gegend gehört, und von der Unbarmherzigkeit, mit der das Militär vorging. Aber davon würde er Viktoria jetzt nicht erzählen. Wenn nur die Hälfte von dem stimmte, was er gehört hatte, so mussten sie umgehend handeln. Es stand zu befürchten, dass Paco, der selten ein Blatt vor den Mund nahm, in großer Gefahr schwebte. Deshalb musste er jetzt nachdenken. Aber Viktoria ließ ihm keine Ruhe.
»Warum? Sag mir, warum du so düster schaust? Ist Paco in Gefahr?«
Pedro hob die Schultern ein wenig und ließ sie dann abrupt wieder sinken. Er deutete auf die Stelle auf der Karte, die Paco mit einem besonders dicken Kreuz versehen hatte.
»Wir müssen ihn suchen. Ich fange dort an, ich …«
Pedro hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da schlug sich Viktoria die Hand vor den Mund.
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