Die Lagune Der Flamingos
sah zu Boden. »Er wird demnächst nach Buenos Aires gehen. Er möchte mehr über die Metallverarbeitung erfahren«, sagte sie leise.
»Er ist sehr geschickt«, sagte Paco.
»Zweifelsohne. Er kann sehr gut mit Maschinen umgehen.«
Es schmerzte Paco zu sehen, wie traurig seine Schwester jetzt dreinblickte. »Wann wirst du es Mama und Papa sagen?«
»Was denn?« Estella sah überrascht auf.
»Dass du dich in ihn verliebt hast, Schwesterchen.«
Es hatte eine Zeit gegeben, da war Estella entschlossen gewesen, sich auf Tres Lomas niemals so wohl zu fühlen wie auf Santa Celia. Doch im Laufe der Zeit hatte sie die Estancia bei Tucumán ebenso lieben gelernt. Drei Jahre war sie jetzt schon wieder hier. Nachdem sie sich anfänglich dem Müßiggang, dem Besuch von Empfängen und, wenn sich die Gelegenheit bot, dem Flanieren auf der Plaza in Tucumán hingegeben hatte, war sie später immer öfter ihrer Mutter und ihrem Stiefvater zur Hand gegangen. Estella kannte sich inzwischen sogar mit dem Zuckerrohr und dessen Verarbeitung aus. Dank Marco und seiner Familie war sie auch mit dem Leben der Zuckerrohrarbeiter vertraut, ein Wissen, mit dem sie zuweilen ihrem Bruder gegenüber glänzte.
Don Laurentio war nicht erbaut gewesen, als er mit Marco einen seiner besten und klügsten Arbeiter verloren hatte. Eine Zeit lang war er häufiger bei den Santos vorstellig geworden, um Marcos Rückkehr zu fordern und damit zu drohen, seine Familie vor die Tür zu setzen, aber die mittlerweile erfahrene Viktoria hatte den Bluff erkannt. Unterdessen waren Marco und Estella gute Freunde geworden. Längst duzten sie einander.
Wenn Estella recht darüber nachdachte, war die letzte Erinnerung an Santa Celia verblasst, als sie Marco kennengelernt hatte. Zuerst hatte sie es nur genossen, mit dem jungen Mann zu sprechen. Dann war ihr aufgefallen, wie gut er aussah. Sie wusste, dass seine auffälligen grünen Augen die Leute reden ließen. Grüne Augen waren selten. Weder Marcos Vater noch seine Mutter hatten grüne Augen. Man wisperte sich zu, Felomina Pessoa habe ihren Mann wohl betrogen.
Marcos Mutter aber war eine stolze Frau und hatte bisher nicht dazu beigetragen, das Rätsel zu lösen. Mit Marcos Vater war leichter umzugehen, doch war es die Mutter, die die Familie zusammenhielt und voranbrachte. Felomina war es auch, die Marco darin unterstützte, seinen Weg in Buenos Aires zu machen.
Estella hatte die kleine Lichtung erreicht, auf der Marco und sie sich in den letzten Monaten öfter getroffen hatten. Ringsum standen Lorbeerbäume, unter denen die Luft immer frischer erschien als an anderen Orten. Estella war als Erste eingetroffen, doch wenig später tauchte auch Marco auf.
Am liebsten würde ich ihm um den Hals fallen, fuhr es Estella durch den Kopf, als er hinter einem Baum hervor auf die Lichtung trat.
»Estella!«, sagte er. Dann fügte er leiser und etwas unsicherer hinzu. »Ich habe dich vermisst.«
»Ich dich auch.«
»Ja?« Er schien darauf zu warten, ob sie noch mehr sagen wollte, aber sie schwieg.
Estella stellte fest, dass Marcos Haar geschnitten worden war. Außerdem trug er einen neuen Anzug.
»Hast du dich fein gemacht für mich?«, platzte sie heraus.
Er errötete, und sie schämte sich sofort.
»Danke«, sagte sie nach einer Weile leise und bekam gleich ein Lächeln geschenkt.
Estella fühlte sich plötzlich so befangen, wie sie es überhaupt nicht von sich kannte.
Was ist nur mit mir los?, schoss es ihr durch den Kopf. Dann hörte sie mit einem Mal die Stimme ihres Bruders.
Dass du in ihn verliebt bist …
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf.
Aber das ist absurd, ich liebe ihn doch nicht.
Durch das Gewirr der Äste drangen mit einem Mal Sonnenstrahlen zu ihnen herunter und malten ein funkelndes Muster auf Marcos glänzendes Haar. Der Anzug, fiel Estella jetzt auf, war nicht nur neu, er sagte ihr noch etwas: Eine wichtige Veränderung stand bevor. Er würde jetzt sehr bald fortgehen.
»O Marco«, flüsterte sie, so leise, dass er sie kaum hören konnte. »Du gehst fort …«
Kurz schien er zu überlegen, ob er etwas sagen sollte, dann nickte er einfach.
»Aber dann werde ich ganz allein hier sein«, sprudelte sie im nächsten Moment hervor.
Da war wieder etwas von der alten, schnippischen Estella, die es gern hatte, wenn sich die Welt um sie drehte. Normalerweise sorgte sie dafür, dass diese Estella nicht auftauchte, wenn Marco da war.
Marco schaute sie betrübt an. Estella setzte sich, nahm
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