Die Lagune Der Flamingos
hatte sie weite Strecken reiten müssen. Doch die Frauen der Pampa waren gute Reiterinnen. Manche ritt sogar, ein Kleinkind auf den Rücken gebunden, zum Einkaufen in die ferne Stadt oder zur nächsten pulpería. Das Leben der Frauen war nicht nur schwer, sondern oft – so empfand es Marlena – auch ungerecht.
»Warum wehrt ihr euch nicht?«, fragte Marlena eines Tages Appollonia, eine derjenigen, die als Erste Vertrauen zu Marlena gefasst hatte. »Mein Onkel ist gewiss ein guter Mann, aber die anderen Estancieros behandeln euch wie Dreck. Es gibt auch keine Gesetze, die euch schützen könnten. Oder sehe ich das falsch?«
Appollonia sah Marlena zuerst nur nachdenklich an, als hätte sie selbst noch nie über diese Frage nachgedacht. »Wir haben es wohl nie gelernt, uns zu wehren, Señorita Weinbrenner, und von Rechten verstehen wir auch nur wenig. Immerhin würde ich heute mit Händen und Füßen für meine Töchter kämpfen, aber damals, als ich aufwuchs … Wenn der patrón mit mir schlafen wollte, dann schaute mein Vater weg. Auch als sich der patrón an meiner Mutter vergriff.«
»Wie furchtbar«, entschlüpfte es Marlena.
Eine der anderen Frauen nickte. »Mein Vater war genauso. Es war doch Gesetz, was der patrón verlangte.«
Mehrere Frauen pflichteten ihr bei.
Bei ihren Gesprächen erfuhr Marlena auch von einer der befremdlichsten Sitten der Pampa: Einer Frau, die untreu geworden war, ob nun willentlich oder unter Zwang, konnten vom betrogenen Ehemann die langen Zöpfe abgeschnitten werden. Diese wurden dann an den Schwanz eines Pferdes gebunden, um den Ehebrecher zu erniedrigen und die Frau für alle sichtbar zu beschämen.
»Wie heiratet man eigentlich hier draußen?«, fragte Marlena eines Tages Appollonia. »Hier gibt es doch weit und breit keine Kirche, einen Geistlichen habe ich auch nicht gesehen, seit ich hier bin.«
»Nun, das ist wirklich ein Problem«, erklärte die Köchin. »Hier draußen findet man kaum einen, der so heiratet, wie es die in der Stadt tun.«
»Der Weg ist viel zu weit«, mischte sich eine der anderen Frauen ein.
»Trotzdem«, Appollonia strich über ihren Rock, als müsste sie irgendetwas daran glätten, »gibt es feste Regeln. Ein Paar darf beispielsweise niemals einfach so zusammenleben. Keiner hier würde so etwas akzeptieren.«
Neugierig beugte sich Marlena vor. »Und wie war das damals bei Ihnen, Appollonia?«
Appollonias Miene blieb undurchdringlich. Flüchtig musste Marlena an den Tag denken, an der sie der Köchin ihre erste Frage gestellt hatte.
»Quién sabe? Wer weiß?«, hatte die in jenem so typischen, lakonischen Tonfall der Pampa-Bewohner geantwortet, der Marlena zuerst eingeschüchtert hatte; später hatte sie erkannt, dass die Menschen hier gern mit dieser Antwort auswichen.
Marlena gab sich einen Ruck und kehrte in die Gegenwart zurück. »Erzählen Sie doch einmal.«
Appollonia lächelte. Marlena wusste, dass ihr Mann und sie immer noch zusammenlebten. Sie galten als glückliches Paar, mit einem guten patrón und fünf gesunden Kindern.
»Also«, begann Appollonia, »bei uns damals, da zeigte ein Mann sein Interesse an einer Frau, indem er sie als Wäscherin anstellte.«
»Ach?«
»Ja«, Appollonia lächelte, »denn so hatte er jedes Mal, wenn er seine Wäsche abholte, eine passende Entschuldigung, das Mädchen in seinem elterlichen Heim zu besuchen. War ein wenig Zeit vergangen und die Liebe nicht erkaltet, dann brachte er ihm Geschenke mit …«
»Hat Paulino Ihnen auch Geschenke gebracht?«
»O ja, dulce de leche und andere Süßigkeiten, sogar Parfüm und ein kleines Schmuckstück. Sehen Sie einmal, ich trage es immer noch. Ich habe es seitdem nicht mehr abgenommen.«
Appollonia beugte sich etwas vor und deutete auf die Kette um ihren Hals, eine silberne Schildkröte mit rötlich leuchtenden Steinen besetzt.«
»Wie hübsch!«, rief Marlena aus.
»Es sind Karfunkelsteine.« Appollonia lächelte versonnen. Dann fuhr sie fort: »Meine Eltern ignorierten Paulinos Aufmerksamkeiten natürlich vordergründig, bis zu dem Tag, an dem Paulino und ich davonliefen.«
Marlena riss die Augen auf.
Appollonia tätschelte ihren Arm. »Ach, das gehört doch alles dazu. Das Liebespaar muss davonlaufen. Der wütende Vater folgt ihnen dann bis zum Haus des Mannes und pocht auf eine Entscheidung. Dann bittet man die Eltern um Vergebung und ihren Segen.«
Appollonia schaute nachdenklich in die Ferne, während sich ein feines Lächeln in ihre
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