Die Lagune Der Flamingos
sogar, doch noch zu nahe an Esperanza zu sein. Manchmal fürchtete er, entdeckt zu werden. Manchmal dachte er darüber nach, doch weiter fortzugehen, nach Norden, nach Nordamerika, wo man auf Baustellen arbeitend vielleicht noch mehr Geld verdienen konnte.
Aber der Chaco ist ein wildes, abgelegenes Land, pflegte er im nächsten Moment wieder zu sich zu sagen, hier kommt niemand her. Wer sollte mich hier auch suchen? Noch nicht einmal regelmäßiger Schiffsverkehr ist wegen des wechselnden Wasserstandes auf dem Río Bermejo oder dem Río Salado, den seit der Kolonialzeit sagenumwobenen Flussläufen des Chaco, möglich.
»Blum? Blum, wo bist du, zum Teufel, wir brauchen Hilfe!«
Mit einem Seufzer nahm Frank die Axt auf, die er während seiner Rast an den nächsten Baum gelehnt hatte, schulterte sie und verschwand erneut wie ein Schatten in der Tiefe des Waldes.
Elftes Kapitel
Der Sonntag, an dem sie fliehen wollten, war einer der schönsten, seit Annelie und ihre Tochter nach Argentinien gekommen waren. Xaver war ausgesprochen guter Laune und fast liebevoll Annelie gegenüber. In jedem Fall hatte er sie seit dem frühen Morgen noch kein einziges Mal geschlagen.
Die Männer aßen mit gutem Appetit und setzten sich dann auf die Veranda. Mina machte sich auf, frisches Wasser zu holen und einige Besorgungen zu machen, die ihre Mutter ihr aufgetragen hatte. Annelie hatte ihr gesagt, dass sie sich Zeit lassen solle.
Wenig später kredenzte Annelie das erste frische Bier, das sie tags zuvor bei einer Nachbarin gekauft hatte, und reichte dünne Scheiben Grillfleisch dazu. Sobald Vater und Sohn angetrunken waren, würde Annelie den Krug mit Zuckerrohrschnaps holen, den sie mit Gift versetzt hatte. Xaver trank mit großem Genuss und war des Lobes so voll, dass bald das schlechte Gewissen an Annelie nagte.
»Warum nicht gleich so? Du kannst doch, wenn du willst«, lachte er irgendwann brüllend auf – offenbar begann das starke Bier bereits seine Wirkung zu zeigen.
Philipp, bemerkte Annelie dagegen beunruhigt, hatte dem Getränk bisher weit weniger zugesprochen. Immer wieder bot sie ihm an. Manchmal nickte er und ließ sich nachfüllen, häufiger lehnte er ab. Irgendwann packte er sie beim Handgelenk.
»Willst du vielleicht, dass ich mich besaufe, Weib?«
Er lachte auf, als er sah, wie ihr vor Schmerz die Tränen in die Augen schossen. Die Zähne fest aufeinandergebissen, schüttelte sie den Kopf. Dann ging sie zum Ofen, um mehr von dem Fleisch aus der Röhre zu holen.
»Ist heute ein besonderer Tag?«, rief Xaver aus.
»Es ist der Tag des Herrn«, sagte Annelie leise.
»Hat uns das sonst gekümmert?«
»Ich … ich dachte …«, stotterte Annelie, »wo doch auch die Ernte so gut …«
Ihre Stimme wurde unsicher, doch Xaver achtete nicht darauf, denn er machte sich gleich mit Appetit über den neuen Fleischberg her, und Philipp langte ebenfalls zu.
Kurz darauf brachte Annelie den Schnaps. Xaver leerte zwei Gläser hintereinander, während Philipp sich noch einschenkte. Annelie versuchte, die Männer nicht zu offensichtlich anzustarren, als sie das Geschirr zusammenräumte. Sie entschuldigte sich und ging in den Garten, um zu gießen. Xavers und Philipps laute Stimmen dröhnten bis zu ihr hinaus. Wann würde das Gift zu wirken beginnen? Hatte sie die Dosis zu niedrig gewählt? Aber sie wollte die Männer ja nicht töten, nur für eine Weile außer Gefecht setzen, damit sie und ihre Tochter fliehen konnten. Als Annelie eine Weile später aus dem Garten zurückkam, war es still am Haus. Vorsichtig näherte sie sich der Veranda. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie feststellte, dass dort niemand mehr saß. Auf dem Tisch stand noch der Krug Caña, die Schaukelstühle aber waren verlassen.
Wo sind sie? O mein Gott, wo sind sie?
Sehr langsam ging Annelie auf die offen stehende Haustür zu. Der Duft nach gebratenem Fleisch lag noch in der Luft. Gelblich rot flackerte das Feuer aus der offen stehenden Ofentür. Zögerlich trat Annelie ins Haus. Xaver lag wenige Schritte vom Eingang entfernt auf der Seite, einen Arm ausgestreckt, als versuche er, etwas zu erreichen, den anderen vor der Brust verkrampft. Im Nähertreten sah Annelie, dass er Schaum vor dem Mund hatte. Seine Augen starrten ins Leere. Er war tot.
»Xaver?«, flüsterte sie dennoch und ging neben ihm auf die Knie. »Xaver, was ist mit dir?«
Er antwortete nicht. Sie wusste, dass er tot war, und musste sich doch davon überzeugen. Ich habe ihn getötet,
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