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Die Lagune Der Flamingos

Die Lagune Der Flamingos

Titel: Die Lagune Der Flamingos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofia Caspari
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dachte sie, während sie voller Angst nach Atem rang. Mühevoll stand sie auf.
    Aber wo war Philipp? Wo war er nur?
    Der Schreck, der Annelie im nächsten Moment durchfuhr, hätte größer nicht sein können. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie es bis in ihren Hals hinauf spürte. Sie blickte sich um, beide Hände gegen den Leib gedrückt, dann verdunkelte ein massiger Körper die Tür zur Küche.
    »Suchst du vielleicht mich, liebe Stiefmutter? «
    Philipps Gesicht war bleich, feine Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Annelie verharrte wie versteinert.
    »Hast du gedacht, du könntest uns einfach beide umbringen und dich dann davonmachen, du falsches Weib?«
    Philipp kam langsam näher. Annelie wich gegen den Ofen zurück, dessen Hitze sie bald kaum noch aushielt. Wenn sie nicht rasch wegkam, so war sie sich sicher, würde sie ohnmächtig werden und in Flammen aufgehen. Sie kannte Frauen, deren Kleider sich in der Nähe des Ofens entzündet hatten und die elend verbrannt waren.
    Annelie versuchte auszuweichen, doch Philipp folgte ihr grinsend, ließ ihr Platz, aber nicht genügend, um zu entkommen. Sie griff hinter sich, tastete nach etwas, das ihr helfen konnte, und verbrannte sich. Ein Wimmern entfuhr ihr, sie griff in schmutzige Teller, riss den Topf mit den Fleischresten herunter.
    Philipp lachte auf. Und dann spürte Annelie plötzlich etwas in der Hand, das sie früh am Morgen benutzt hatte, um das Rinderviertel zu zerteilen, das ihr und Mina zum Abendessen hatte dienen sollen. Mit einer raschen Bewegung drehte sich Annelie von ihrem Stiefsohn weg. Mit beiden Händen griff sie nach der Axt und drehte sich auch schon wieder um.
    Philipp hatte keine Zeit zu erkennen, was sie da in den Händen hielt, als Annelie die Axt über den Kopf hob und zuschlug. Wie ein Stein ging der junge Mann zu Boden. Ein kurzer Blick auf sein blutüberströmtes Gesicht genügte ihr. Annelie ließ die Axt fallen.
    Sie ging zum Tisch, plötzlich seltsam ruhig, als hätte sie etwas vollkommen Normales getan. Sie nahm eine Lampe zur Hand und entzündete sie, drehte die Flamme höher und stellte die Lampe neben das Sofa auf den Boden. Wenn sie Glück hatte, fing der Stoff rasch Feuer. Dann würde das ganze Haus in Flammen stehen, bevor irgendjemand etwas bemerkte. Sie wusch sich sorgfältig Gesicht und Hände, zog eine frische Bluse und eine Schürze an, denn ihre Kleidung war mit Philipps Blut besudelt.
    Ich habe meinen Mann und meinen Stiefsohn getötet, dachte sie, was soll mir jetzt noch passieren? Das Schrecklichste war ja geschehen, nun würde sie alles aushalten. Nun gab es nur noch eines, was zählte: ein gutes Leben für Mina.

Zweiter Teil
    La frontera sangrante –
Die blutende Grenze
    Patagonien, Buenos Aires,
Esperanza, Rosario
    1878

Erstes Kapitel
    Es war noch früh am Morgen, und doch war es drückend heiß. Schon seit geraumer Zeit warf sich die dreizehnjährige Blanca auf ihrem Lager hin und her. Durch den Fensterladen, durch den es im Winter eisig zog, fiel das Sonnenlicht auf den Zimmerboden. Blanca drehte sich auf den Rücken, zwang sich, einen Moment lang ruhig zu liegen, und starrte gegen die Holzdecke. Weit oben hatte eine Spinne ein Netz gewebt, das nun in einem Sonnenfleck wie eine in der Luft schwebende Wasserpfütze zitterte. Im Nachbarbett schlief ihre Mutter Corazon ihren Rausch aus.
    Zwei Jahre waren sie nun hier. Corazons angegriffener Gemütszustand hatte sich seit dem Tod von Blancas Vater verschlechtert. Blanca hatte sich um ihre Mutter kümmern müssen, seit sie im Rahmen einer der letzten Säuberungsaktionen ins Grenzgebiet, nach Patagonien, gebracht worden waren. Mittlerweile, so hatte Blanca gehört, war die Prostitution in Buenos Aires längst zu einem Geschäft geworden, das viele Fremde anlockte. Die Zeiten, in denen der Staat Huren wie Arbeitsscheue behandelt, sie festgenommen und in die Grenzforts geschickt hatte, wo sie den Soldaten zu Diensten sein mussten, waren vorüber. Einige von Blancas Kunden bemängelten bereits, dass hygienische Standards in Buenos Aires besser eingehalten würden als hier am Ende der Welt. Aber die meisten legten keinen gesteigerten Wert auf Sauberkeit.
    Röchelnd drehte sich Corazon auf die Seite. Blanca schaute zu ihr hinüber. Nur noch schwach konnte sie sich daran erinnern, wie schön ihre Mutter einmal gewesen war, das beste Pferd im Stall der Bordellbesitzerin Señora Valdez. Doch damit war es lange vorbei.
    Corazon dachte nicht mehr häufig daran, sich zu

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