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Die Lagune Der Flamingos

Die Lagune Der Flamingos

Titel: Die Lagune Der Flamingos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofia Caspari
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Bei dem Gedanken traten ihr die Tränen in die Augen. Was, wenn sie einander doch nie wiedersähen? War das nicht wahrscheinlicher als alle Träume, die sie sich ausmalte? War das nicht ein dummer Traum, ihn auf der Plaza de la Victoria treffen zu wollen, ein Traum, den Kinder träumten, bevor sie erwachsen wurden?
    Hinter dem kleinen Fenster tauchte nun Philipps Kopf auf. Er stieß das Fenster auf, dann hörte Mina ihn fluchen. In dieser Nacht würde sie nicht mehr ins Haus zurückkehren. Sie würde irgendwo in eine Scheune kriechen. Am nächsten Morgen wäre es noch früh genug, Philipp gegenüberzutreten.

Neuntes Kapitel
    Mina wusste längst nicht mehr, wie oft sie sich schon die Lippe oder einen anderen Teil ihres Gesichts gekühlt hatte. Seit sie Philipp an jenem Abend entkommen war, verprügelte er sie brutal an jedem Tag, den sie zu Hause verbrachte, während sich Xaver an ihrer Mutter schadlos hielt. Manchmal genügte ein Abendessen, das nicht ganz nach seinem Geschmack gewesen war. Annelie suchte die Verletzungen vor Mina, die neuerdings wieder öfter unter der Woche nach Hause kam, um ihrer Mutter beizustehen, zu verbergen, doch der entging nichts. Nun saßen Mutter und Tochter einander in Minas kleiner Kammer gegenüber.
    »Mama«, sagte Mina. »Willst du warten, bis er dich endgültig totschlägt?«
    Annelie schüttelte den Kopf. »Aber Mina, wir haben doch so oft darüber geredet. Wir sind Frauen, wir haben kein Geld. Wovon sollen wir leben? Sag mir das.«
    Mina biss sich auf die Lippen, dann nahm sie die abgearbeiteten Hände ihrer Mutter zwischen die ihren. »Ich habe Geld.«
    »Was?« Annelies Augen weiteten sich. »Wo … Ach nein, sag es mir nicht. Es ist besser, wenn ich es nicht weiß.«
    Mina nickte. Dann schwiegen sie einen Moment.
    »Verstehst du«, fuhr Mina endlich fort, »wir können fort, wenn wir wollen.«
    Annelie nickte nachdenklich. »Aber wir müssen uns das gut überlegen«, sagte sie leise. »Wir müssen uns das sehr gut überlegen.«
    Annelie hatte darauf gehofft, den Gedanken an eine Flucht verdrängen zu können, doch abends, wenn sie im Bett lag, musste sie unablässig daran denken. Es ist, überlegte sie, als wäre das Saatkorn, das Mina seit Wochen in mir zum Wachsen zu bringen versucht, endlich aufgegangen.
    Lange hatte es gedauert, doch sie verstand jetzt endlich, wie Recht Mina hatte. Sie mussten fliehen. Sie, Annelie, durfte keine Angst davor haben, denn hier in Esperanza wartete früher oder später nur der Tod auf sie. Sie wollte nicht von Xavers Hand sterben. Sie hatte munkeln hören, dass er seine erste Frau getötet hatte. Wenn sie es auch anfangs nicht hatte glauben wollen, so war sie mittlerweile überzeugt, dass die Geschichte stimmte. Agnes Amborn war gewiss nicht einfach so die Treppe hinuntergestürzt.
    Keine Angst, sprach sie sich in Gedanken Mut zu, du musst keine Angst mehr haben. Aber sie dürfen uns nicht so schnell folgen.
    Es war dieser Gedanke, der Annelie in den nächsten Tagen mehr als alles andere beschäftigte.
    An ihrem Leben änderte sich vorerst dennoch nichts. Annelie stand früh am Morgen auf, um das Frühstück zuzubereiten und Ordnung zu schaffen. Wenn sie Glück hatte, bekam sie keine Prügel, bevor sie hinaus in den Garten ging oder sich daran machte, die Wäsche zu waschen, die Hühner und Ziegen zu füttern, das Mittagessen zu kochen. Wenn sie Glück hatte, bekam sie überhaupt keine Prügel. Nachdem Mina eine Weile fast jeden Abend nach Hause gekommen war, verbrachte sie die Woche nun wieder in der Stadt. Sehnlich erwartete Annelie an jedem Samstagabend ihre Rückkehr. Sonntags gingen sie dann gemeinsam in die Kirche.
    Nun war wieder Samstag, doch hinsichtlich der Planung ihrer Flucht war Annelie noch keinen Schritt weitergekommen. Mina wollte einfach davonlaufen, aber Annelie wusste, dass das nicht genügte. Es würde notwendig sein, die beiden Männer an der Verfolgung zu hindern. Annelie hatte überlegt, ob sie genügend Mut und Kraft besäße, den Männern einen Prügel über den Schädel zu ziehen, dies jedoch rasch verworfen. Und wenn sie es schaffte, den einen zu betäuben, so würde der andere womöglich aufmerksam. In der vergangenen Woche hatte sie Erna Pohlmann getroffen, die sich gut mit Kräutern auskannte. Sie hatte aufgehorcht, als diese ihr etwas über betäubende Mittel erzählt hatte, doch auch das schien für sie keine Lösung zu sein.
    Nun stand Annelie wieder einmal in der Scheune, in der noch die Reste der Ernte vom

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