Die Lagune Der Flamingos
Rücken.
»Ich arbeite heute nicht, Señor.« Sie deutete zur Decke. »Es ist Sonntag, der Tag des Herrn.«
Jens Jensen schaffte es zu grinsen, obwohl ihm ihre Schönheit schier den Verstand rauben wollte.
»Ich arbeite auch nicht. Einen Caña?« Er deutete auf die Flasche mit Zuckerrohrschnaps.
»Ich trinke auch nicht.« Sie ließ ihn nicht aus dem Blick. »Aber Sie dürfen mir Gesellschaft leisten, Señor …?«
»Jensen, ich bin neu hier.«
»Ich weiß.«
Er hoffte, dass sich die Enttäuschung nicht zu deutlich auf seinem Gesicht abzeichnete. Er hasste es, ein offenes Buch für eine Frau zu sein, auch wenn es sich dabei um die schönste Frau handelte, die er je gesehen hatte. Während er seinen Zuckerrohrschnaps trank, nippte sie an ihrer Limonade. Er dachte darüber nach, dass er schon lange keine Frau aus ihrem Metier mehr getroffen hatte, die nicht trank. Allerdings war sie sehr jung, das bemerkte er nun, da er ihr länger gegenübersaß, zu jung für ihn.
»Trinken Sie nie?«, fragte er und empfand seine Frage im gleichen Moment als ungebührlich.
Hatte er Deutschland nicht verlassen, weil er den Menschen nicht mehr mit Vorurteilen begegnen wollte? Es ging ihn nichts an, ob oder warum sie trank oder nicht trank.
Blanca setzte das Limonadenglas ab und sah ihn ernst an.
»Ich … dachte nur …«, stotterte er. »Ach, verdammt, das war aufdringlich. Es tut mir leid, ich ziehe die Frage zurück.«
Sie sagte immer noch nichts, schob ihren Hocker jetzt aber etwas zurück und verlagerte das Gewicht, als ob sie gleich aufstehen wolle.
»Bleiben Sie doch, bitte«, sagte Jens Jensen rasch. »Ich entschuldige mich wirklich in aller Form, Señorita.«
Für einen kurzen Moment wusste er nicht, ob sie jetzt lachen oder einfach gehen würde, dann sah er, wie sich ihre Schultern entspannten.
»Nennen Sie mich Blanca, Señor Jensen. Würden Sie mir noch eine Limonade bestellen?«
»Julio?« Suchend blickte Blanca sich um. Niemals würde sie verstehen, wie man sich in einer solchen Landschaft verbergen konnte. Ihr schien es stets, als gäbe es in der Pampa kein Versteck, doch Julio belehrte sie immer wieder eines Besseren. Wie eine Schlange glitt er jetzt neben sie.
»Blanca!«
»Julio!«
Schon spürte sie seinen Arm um sich. Dann küsste der junge Halbindianer sie wie ein Verdurstender. Blanca schmiegte sich enger an seinen festen, warmen Körper.
Als sie Julio zum ersten Mal in Carlitos pulpería bemerkt hatte, war ihr einfach nur aufgefallen, dass sie beide schwarze Augen hatten. Julio hatte allerdings lange schwarze Haare und eine dunklere Hautfarbe. Er sah aus wie ein Indio, auch wenn er, wie Carlito sofort bemerkt hatte, ein Mestize war. Mestizen gab es viele in der Gegend. Allerdings war Julio bei seiner indianischen Mutter aufgewachsen und nicht gut auf Weiße zu sprechen.
Vielleicht hatten sie sich deshalb am Tag ihrer ersten Begegnung nur kurz gegrüßt, ein kaum merkliches Nicken von beiden Seiten. Am nächsten Morgen jedoch, als sie zum Baden zu ihrem Lieblingsplatz am Fluss gegangen war, war er plötzlich da gewesen.
»Hast du keine Angst so allein?«, hatte er gefragt.
»Julio?«, hatte sie, statt einer Antwort, gesagt, um zu zeigen, dass sie sich seinen Namen gemerkt hatte.
Er hatte zaghaft gelächelt. »Und du bist Blanca.«
Zögerlich hatten sie begonnen, miteinander zu sprechen. Nach und nach hatten sie mehr voneinander erfahren. Sie hatten beide keine Väter mehr. Julio wusste, dass er etwa sechzehn Jahre alt war, Blanca war drei Jahre jünger. Für beide wurde es die erste unschuldige Liebe ihres Lebens.
Blanca löste sich aus Julios Umarmung und drehte sich zu ihm hin. Julio trug ein einfaches Hemd und eine Hose. Sein Haar war nach Indio-Art mit einem Stirnband gebändigt. Es erschien ihr auch, als wäre es länger geworden.
»Wo warst du?«, fragte sie ihn. »Ich habe dich vermisst.«
»Bei meiner Mutter.«
Blanca nickte verstehend, schlang dann ihre Arme um seinen Hals und schmiegte sich noch enger an ihn.
»Es ist gut, dass du jetzt hier bist.«
»Hm.«
Blanca presste, ob der kurzen Antwort, die Lippen aufeinander. Immer, wenn er aus dem Dorf seiner Mutter zurückkehrte, hatte sie den Eindruck, ihn ein wenig verloren zu haben. Danach dauerte es seine Zeit, bis Julio sich wieder auf sie einließ.
Irgendwann, fuhr es ihr unvermittelt durch den Kopf, wird er wirklich nicht mehr zurückkommen. Dann werde ich wieder allein sein.
Blanca fröstelte. Sie hatte immer gehofft,
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