Die Lagune Der Flamingos
dir. Sie werden mich alle haben wollen, Señora, alle.«
So hatte es angefangen. Danach war Blanca nichts anderes übrig geblieben, als weiterzuarbeiten. Von jeher hatte sie versucht, sich so wenig wie möglich Gedanken darum zu machen. Auch Corazon versuchte, ihr Bestes zu geben, wenn sie bei klarem Verstand war, doch die letzten Jahre hatten ihr viel abverlangt. Es war schnell deutlich geworden, dass sie Gustavos Tod einfach nicht verwinden konnte. Sie würde nie wieder die Alte sein.
Zweites Kapitel
Die Stimmen in Carlitos pulpería waren lauter geworden. Die meisten Gespräche drehten sich darum, wie es gelingen könnte, das marodierende Indio-Pack endgültig zu besiegen. Manche erinnerten sich noch an die Zeiten, etwa sieben Jahre war das jetzt her, als der Kazike Calfucurá mit Unterstützung chilenischer Mapuche auf breiter Front gegen das argentinische Heer vorgerückt war. So etwas, so war man sich einig, dürfe nie wieder geschehen. Auch deshalb galt es, die Grenze des argentinischen Staates weiter ins Indianergebiet vorzuversetzen. Einige wussten zu berichten, dass bald Truppen unter General Roca in die Pampa vorstoßen würden, um dem Indio-Problem endgültig ein Ende zu bereiten.
»Wurde auch Zeit«, ereiferte sich eben einer der Gäste. »Seit ich denken kann, stehlen diese verdammten Hunde nun unsere Rinder und Schafe und setzen sie als Raubgut in Chile ab. Damit muss jetzt Schluss sein!«
»Was ist das überhaupt für ein Staat«, mischte sich sogleich ein anderer ein, »der nicht einmal innerhalb seines eigenen Territoriums in der Lage ist, seine Leute zu schützen?«
»Und ist der dreckige Indio nicht überhaupt täglich mitten unter uns?« Vielsagend blickte sich einer der neuen Gäste, ein Landvermesser, um. »Treibt er sich nicht in Buenos Aires und den Provinzstädten herum, wo er handelt und verhandelt, als könne er kein Wässerchen trüben, während er hinterrücks den nächsten Beutezug plant?«
Nun mischte sich mit einem Mal Jens Jensen ein. Seine Stimme ließ Blanca unvermittelt den Kopf heben. Am Tag zuvor hatte Julio sie noch einmal aufgesucht und sich dann auf immer von ihr verabschiedet. Bis spät in die Nacht hatte sie sich in den Schlaf geweint, jetzt war sie völlig erschöpft.
»Aber ist es nicht allzu verständlich?«, sagte Jensen. »Das Problem ist doch offenbar, dass Land auch hier, in diesen Weiten, nicht mehr unbegrenzt zu haben ist. Alle wollen ein Stück vom Kuchen, also wird es für uns alle enger. Natürlich wehren sich die Indios, wenn sie von allen Seiten bedrängt werden. Ihre Antwort ist der malón, der bewaffnete Überfall. Aber würden wir an ihrer Stelle anders handeln?«
»Das ist ja wohl nicht Ihr Ernst! Wir haben nicht das Geringste mit diesem Pack zu tun«, empörte sich der Landvermesser.
»Es ist jedenfalls mein Ernst, dass die Mapuche und die anderen Stämme genau das gleiche Recht haben, hier zu siedeln wie wir«, entgegnete Jensen kühl.
Ein Mann, dessen Tonfall seine englischsprachige Herkunft verriet, mischte sich nun ein. »Aber das sind eben keine Menschen, Señor. Ich bin lange umhergereist, und ich kann Ihnen versichern, das sind keine richtigen Menschen, sie sind hässlich, dreckig, stolz und unnahbar. Vielleicht lässt man sich von jenen täuschen, die friedlich daherkommen und nach dem allgemeinen Geschmack noch nett anzusehen sind. Aber je näher sie an Buenos Aires herankommen, desto kriegerischer werden diese verdammten Hunde. Sie geben sich der Trunkenheit und der Gewalt hin. Ich erinnere mich noch gut an diverse Begegnungen mit solchen Indios. Es waren allesamt kleine, drahtige Männer mit sehr langem schwarzem Haar, flachen, bartlosen Gesichtern, hohen Wangenknochen und dunkler Hautfarbe, also überaus abstoßend anzusehen. Und wie sie sich angezogen hatten! Auf manchen Köpfen thronten Hüte, andere hatten Tücher um den Kopf gewickelt. Wieder andere trugen gewebte Stirnbänder und Ponchos. Manche waren sogar nackt wie Adam mit lediglich einem Schurz um die Lende.«
»Aber nicht nur diese Indios sind eine Gefahr für uns«, ließ sich nun wieder der hören, der zuerst gesprochen hatte, »es sind auch jene, die Krieg auf eigene Rechnung machen. Gesetzlose und Indios, die sich keinem Häuptling fügen. Ich verstehe nicht, warum man nicht längst gegen diese Zustände vorgegangen ist.«
Jens Jensen lächelte. »Vielleicht, weil die Geschäfte zu gut waren, die man auf diese Weise machen konnte?«
»Wie meinen Sie das?«
»Weil
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