Die Lagune Der Flamingos
Politiker und Kaufleute das Grenzgebiet von jeher zu zweifelhaften Unternehmungen genutzt haben, so meine ich das. Weil sie Geld und Materiallieferungen stehlen und weiterverkaufen. Es heißt, es gebe Regimenter in den Grenzforts, die erhielten monate-, sogar jahrelang keinen Lohn, weil das in Buenos Aires bereitgestellte Geld irgendwo auf dem Instanzenweg zusammenschmilzt, bevor es seinen Bestimmungsort erreicht. Jeder bedient sich, und zum Schluss haben die Soldaten nicht einmal Waffen oder Pferde, denn die Lieferanten stecken unter einer Decke mit skrupellosen Beamten und Offizieren und liefern nichts oder nur Ausschussware.«
»Ach, Gott«, der Landvermesser rollte die Augen, »so schlimm wird es wohl nicht sein.«
Jens Jensen schüttelte den Kopf. »Nein? Es heißt, die mit der Lebensmittellieferung beauftragten Firmen erfüllten nicht den zehnten Teil von dem, wozu sie auf dem Papier verpflichtet seien. Warum sich bisher nichts geändert hat? Weil wir alle Teil des Ganzen sind. Glauben Sie nicht, dass die Häute mancher Viehherde, die von einer Estancia weggetrieben wurde, von Offizieren und Soldaten zu einem billigen Preis gekauft und an Kaufleute weiterverschachert wurden?« Jemand ließ ein abfälliges Schnauben hören, doch Jensen ließ sich auch davon nicht beirren. »Ach Gott, wahrscheinlich hätten alle hier noch lange damit leben können. Doch nun sagt man sich plötzlich, der Indio sei zu übermütig geworden, und will etwas dagegen unternehmen. Nein, er ist nicht zu übermütig geworden. Wir sind zu unersättlich. Und dann sind da natürlich noch die Chilenen, die über die Anden nach Patagonien einreisen, sodass zu befürchten steht, dass Chile eines Tages Anspruch auf diesen Landstrich erheben könnte. Sie sehen, meine Herren, das Interessengeflecht ist vielfältig.«
Der Landvermesser öffnete den Mund zu einer erneuten Erwiderung, schüttelte dann doch nur den Kopf und wandte sich wieder seinem Bier zu. Auch die anderen drehten sich von Jensen weg und steckten endlich die Köpfe zusammen.
Blanca trat an seine Seite. »Ich glaube, Sie haben sich hier wieder einmal keine Freunde gemacht, Señor Jensen«, sagte sie mit gesenkter Stimme.
Jensen warf einen Blick zu den Männern hinüber und trank seinen Becher in einem Zug leer.
»Damit muss man leben.« Er bot ihr den Arm an. »Gehen wir ein Stück spazieren?«
»Ich …«
»Ich bezahle auch dafür, machen Sie mir das Vergnügen, Señorita Blanca. Nur ein Spaziergang, ja? Wie immer.«
Blanca zögerte kurz, dann ergriff sie Jensens Arm und nickte.
Jens Jensen erinnerte sich noch gut an den Tag, als er den Río Negro zum ersten Mal gesehen hatte. Nach dem langen Ritt von Buenos Aires durch die Pampa war es ein prächtiges Schauspiel gewesen. Auch jetzt ließ ihn der Anblick innehalten. Vom Rand des Steilhangs zu seinen Füßen fiel der Hang fast hundert Meter schroff in die Tiefe ab.
Der Río Negro, hörte er in Gedanken die Stimmen seiner Begleiter, der Río Negro!
Einige von ihnen hatten hier am Río Negro zum ersten Mal Steine gesehen und die hellen, braunen oder erdgrauen Kiesel fasziniert aufgesammelt. Jens Jensen beugte sich etwas im Sattel vor und unterdrückte einen Seufzer. Seit jenem Tag, der doch noch gar nicht so lange zurücklag, hatte sich diese Gegend sehr verändert. Während sich in der fruchtbaren nördlichen Pampa die Rinderzucht etablierte und der Getreideanbau vorangetrieben wurde, verlagerten sich die Schafzuchtgebiete nach Süden. Dies hatte zu den ersten offenen Kämpfen mit den Indios geführt. Jensen hatte gehört, dass manche Estancieros inzwischen dazu übergingen, Kopfprämien für getötete Indios auszusetzen. Bei dieser Menschenjagd würden keine Gefangenen gemacht werden, das war nur zu deutlich. Und am Ende ersetzen Schafe Menschen, schoss es ihm durch den Kopf.
Erneut kostete es Jensen Mühe, sich aus seinen Gedanken zu reißen. Er lenkte sein Pferd zurück auf den Weg, auf dem er gekommen war. Es dauerte noch ein gutes Stück bis zur Furt, dann war es nicht mehr weit bis zur Siedlung. Kurz vor Carlitos pulpería begegnete ihm Blanca, die einen Korb trug. Das junge Mädchen lächelte ihn an. Die Kleine hatte Vertrauen zu ihm gefasst, seit er ein paarmal mit ihr spazieren gegangen war. Offensichtlich glaubte sie ihm mittlerweile, dass er nichts von ihr verlangte, was sie nicht selbst wollte und er … Er konnte sich ohnehin nicht vorstellen, das mit ihr zu tun, womit sie ihr Leben verdiente. An seiner Seite
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