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Die Lagune Der Flamingos

Die Lagune Der Flamingos

Titel: Die Lagune Der Flamingos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofia Caspari
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Brasilien vorbereitet, und jetzt fuhren sie nach Argentinien.
    Aber ich weiß doch nichts von Argentinien. Nicht das Geringste.
    Plötzlich überkam ihn Angst. Ein gutes Land für Getreide, wiederholte er bei sich, wie zum Trost, Eugen Millers Worte. Vielleicht hatte der erfahrene Reisende ja Recht, vielleicht war es nicht das Schlimmste, nach Argentinien zu kommen. Als Wolgadeutscher hatte er schließlich sein ganzes Leben mit dem Getreideanbau zugebracht.
    Er riss den Blick von dem Boot los, das, wie Eugen ihnen erklärt hatte, den Lotsen an Bord gebracht hatte und nun wieder ablegte. Der schmale Mann war inzwischen weiter zum Kapitän gegangen, und das Schiff nahm wieder an Fahrt auf Richtung Buenos Aires am gegenüberliegenden Ufer des Rı´o de la Plata. Arthur schaute sich um. Ob die anderen Mitreisenden verstanden, was ihnen gerade widerfuhr? Arthur bezweifelte es.
    Als sie den Schuppen der Einwanderungsbehörde in Buenos Aires betraten, glaubten die meisten wolgadeutschen Passagiere noch, sie seien, wie geplant, in Brasilien angekommen.
    Argentinien ist das falsche Land, durchfuhr es Arthur nochmals, als Olga und er nach der anstrengenden Einwanderungsprozedur endlich ins Freie traten. Es ist das falsche Land, es wird uns kein Glück bringen. Er wusste nicht, wie schnell er Recht behalten sollte.
    Es war so schnell gegangen . Eben noch hatten sich ihre und Arthurs Finger in der Einwanderungsbehörde umeinandergeklammert, dann war Olga plötzlich mit der nach draußen drängenden Menschenmenge fortgerissen worden, als wäre sie nur ein Stückchen Holz in einem reißenden Fluss.
    »Arthur!«, hatte sie verzweifelt geschrien. »Arthur!«
    »Olga?«, war seine hilflose Stimme aus der Ferne zu hören gewesen, doch sie hatte sich einfach nicht aus dem Strom der Menschen befreien können, war weiter und weiter mitgerissen und nach einer scheinbaren Ewigkeit erst von der Masse ausgespuckt worden, wie eine Welle einen Schiffbrüchigen ans Ufer spuckte.
    Olga stand da und konnte sich nicht regen. Wie erstarrt hielt sie sich am Rand des Gedränges inmitten wildfremder Menschen und hörte alle Sprachen der Welt, nur keine, die ihr vertraut war. Bald liefen ihr Tränen über das Gesicht.
    Arthur, dachte sie nur, Arthur, wo bist du?
    Seit Beginn ihrer Reise waren sie kaum einen Moment getrennt gewesen. Gemeinsam hatten sie von Brasilien geträumt und sich die Zukunft ausgemalt. Mit dem Geliebten an der Seite hatte die Reise, die Olga zuerst doch gar nicht hatte antreten wollen, nach und nach jeglichen Schrecken verloren. Doch dieser Schrecken war jetzt zurück.
    Mit dem Handrücken wischte Olga sich über Augen und Wangen, doch die Tränen flossen einfach weiter.
    Ich muss den Weg zurückfinden, fuhr es ihr durch den Kopf. Ängstlich blickte sie sich um. Wo war sie nur? Im Getümmel hatte sie Mühe gehabt, sich aufrecht zu halten, und nicht verfolgen können, welchen Weg die Menge genommen hatte. Immer noch drängten Menschenmassen an ihr vorbei. Sie musste Karren, Kutschen, Pferden, schreienden Lieferburschen ausweichen und erhielt den ein oder anderen Stoß in die Seite und in den Rücken.
    Aber eigentlich, suchte Olga sich zu beruhigen, ist es doch ganz einfach. Ich muss zurück zum Meer, dort wird Arthur auf mich warten. Das Meer muss östlich liegen. Ich muss nach Osten. Ich werde Arthur zeigen, dass ich eine starke Frau bin. Ich werde ihn finden.
    Olgas Tränen versiegten. Sie zog die Nase hoch und wagte einen neuerlichen Blick zur Orientierung. Dort, wo die Sonne jetzt war, musste Westen sein. In der anderen Richtung lag das Meer. Sie musste also nur die entgegengesetzte Richtung nehmen und laufen, bis sie die Küste wieder erreichte. So schwer konnte das doch nicht sein. Olga holte Atem. Ein paar Schritte entfernt, an einer Hausecke, bemerkte sie nun, stand ein Mann mittleren Alters und musterte sie mit einem freundlichen Lächeln.
    »Neu hier?«, rief er ihr zu.
    Olga nickte unsicher, aber sie war so elend dankbar, Deutsch zu hören, dass ihr die Knie weich werden wollten. Sofort stieg ein vertrautes Gefühl in ihr auf.
    Ein Landsmann, dachte sie, ein Landsmann, endlich.
    »Aber … aber mein Mann«, stotterte sie, »ich … ich habe meinen Mann im Hafengelände verloren.«
    »O ja, es gibt immer ein furchtbares Gedränge dort, wenn ein Schiff angelegt hat.«
    Sein freundliches Lächeln ließ Olga näher zu dem Mann hintreten. Es tat gut, nicht mehr inmitten des Gedränges zu stehen. Als hätte er verstanden, dass

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